Samstag, 31. März 2007

Greif, die Scharfmetze


Als Volkmar fragte: "Woll’n wir mal paddeln?", war mir absolut nicht klar, was da auf mich zukam. Paddeln klingt so harmlos.
"Paddeln? Wo denn?"
"Mosel."
Mosel klingt so schlimm auch nicht.
"Die Mosel ist lang."
"An der Mündung in den Rhein nicht mehr."
Das klang logisch. Aber wohin fuhr man dann überhaupt noch? War die Mosel an der Mündung in den Rhein nicht irgendwie zu Ende?
"Ein bisschen den Rhein runter. Mal sehen, wie weit wir kommen."
Prophet hätte er damit werden können, der gute Volkmar; ein Weissager, bewundert und geliebt. Aber nein, er musste Freizeitpaddler sein.
"Woher kriegen wir denn ein Boot?"
Sein Blick changierte zwischen mitleidig und stechend. Aber was weiß ein Laie schon? Ich finde, dass man sich nicht unbedingt in dünnwandige, spindelförmige Kunststoffgebilde zwängen muss, um sich zu ertränken. Zudem muss man sich dazu nicht an langen Stöcken mit abgeflachten Enden festhalten.
Volkmar war anderer Meinung. Und er kannte selbstverständlich den günstigsten Vermieter von Paddelbooten moselauf und rheinab.
Wie auch immer: Wenig später klemmten wir in einem zweisitzigen Kanu und ich versuchte, mir nicht die Finger zu brechen, während ich das Gummiding, das Volkmar als Spritzschutz bezeichnete, über die dafür vorgesehene Kante der Sitzluke zog. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich darauf verzichtet, aber Volkmar warnte vor Einschwappungen und nachfolgender Kenterung. Und angesichts der Farbe des Wassers beschloss ich, das Risiko nicht einzugehen. Bräunlichtrüb.
Der Seegang (oder heißt es bei Flüssen Flussgang?) war deutlicher, als ich befürchtet hatte. Alle Augenblicke tauchte der Bug in eine Welle, die Welle reagierte mit Gischt, und die Gischt sprühte mir ins Gesicht. Langsam breitete sich in mir der Verdacht aus, dass sich Volkmar nicht nur aus Gründen der Schlagzahlkontrolle auf den hinteren Sitz gesetzt hatte.
Dann erreichten wir den Rhein, und ich begann unvermittelt zu vermuten, dass dies keine positiven Auswirkungen auf den weiteren Tagesverlauf haben würde. In der hintersten, schummerig beleuchteten Abenteurerecke meiner Seele hatte ich das erste Zusammentreffen mit einem größeren Schiff erst weit im Norden erhofft, ein Wikingerschiff mit prächtigen Kriegern, weit hinter der Rheinmündung, nach langer Paddelei durch die Nordsee, vorbei an Brittanien und Hibernien, gestählt durch tägliche Scharmützel mit dreisten, wenn auch unvorsichtigen Piraten. Aber nein, die Begegnung fand viel früher statt, jetzt und hier, und das mit einem profanen Lastkahn. Hic Koblenz, hic salta – oder sagen wir lieber: hic salto!
Ich hatte soeben einen ehrfürchtigen Blick hinauf zur Feste Ehrenbreitstein geworfen. Trutzig und trocken lag sie da, unbeeindruckt von den Zeitläuften, Ehrfurcht gebietend, preußisch; hinter den Schießscharten bewehrt mit monumentalen Kanonen, die größte davon namens Greif. Ein Koloss von neun Tonnen und viereinhalb Meter Länge, mit der man theoretisch Kugeln von 80 kg Gewicht verschießen konnte. So etwas hier unten im Boot, und ich hätte mich vielleicht retten können durch eine Selbstverschießung ans rettende Ufer.
Der Lastkahn war einfach zu nah und zu schnell. Seine Bugwelle hatte Resonanzfrequenz mit der restlichen üblen Wasserbewegung, und keine zwei Sekunden später tat es einen Schlag, als ob man von der Feste droben Kartätschen auf uns feuern würde. Gleichzeitig hörte ich Volkmar durch die Gischt brüllen: "Wir kentern!"
Da sage bloß einer, Profis würden in kritischen Situationen den Überblick verlieren. Volkmars messerscharfer Schluss überzeugte selbst mich, der ich Sekundenbruchteile später kopfüber in der Brühe steckte und inständig hoffte, dass der gegenwärtige Zustand Teil einer Eskimorolle war. Wenigstens hatte Volkmar aufgehört zu rufen. Vermutlich war er damit beschäftigt, das Boot durchzukentern, um unsere Köpfe wieder an die Luft zu kriegen. Aus irgendeinem verrückten Grund fiel mir die Kanone Greif wieder ein. Ein Koloss, wie gesagt, eine so genannte Scharfmetze, die aber verglichen mit Volkmar und mir von sich behaupten konnte, weiter in der Welt herumgekommen zu sein. Immerhin wurde sie, ohne einen Schuss abgefeuert zu haben, 1799 in den Invalidendom nach Paris gebracht, 1940 wieder zurück, 1945 wieder nach Paris, und 1984 wieder zurück. Das nennt man wohl reisen, wenn auch eher aus Zufall.
Zufall war es wohl auch, der dafür sorgte, dass wir die Köpfe wieder aus dem Wasser kriegten. "Los, paddeln!" schrie Volkmar. "Wir müssen ans Ufer!" Da waren wir endlich einer Meinung. Wir hätten von vornherein am Ufer bleiben sollen. Allerdings hätte ich dann nicht über Greif, die Scharfmetze, nachgedacht, und das wär schade gewesen.
Nun quälte mich auf den letzten Metern Paddelei allein die Frage, warum es heute keine Scharfmetzen mehr gibt. Dinge, die 80 kg wiegen und die ich weit genug wegschießen möchte, gibt es genug. Meinen wöchentlichen Hausmüll beispielsweise, oder George Bush. Als wir endlich anlegten und mit schlotternden Knien ausgestiegen waren, kam mir noch in den Sinn, dass die kleinere Ausgabe einer Scharfmetze Kartaune hieß, bevor sie unter der Bezeichnung 40-Pfünder zu größerer Bekanntheit gelangte. Vierzig Pfund? Das heißt also: Zwei Kartaunen sind zusammen ein 80-Pfünder – so viel wiegt ungefähr ein bulimisches Model. Heißt das: Doppelkartaune = Mager-Model? Da klingt Doppelkartaune irgendwie handlicher, optimistischer. Nicht so krank. Aber wahrscheinlich ist wieder alles komplizierter, als ich mir das denke.
"Du kannst das Paddel jetzt loslassen," sagte Volkmar. "Du stehst an Land."
Genau wie Ehrenbreitstein. Danke, Volkmar.
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©2007 Julius Moll
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Mittwoch, 28. März 2007

Right to the point


Schon mal eine Fußreflexmassage gehabt? Heißt das überhaupt Fußreflexmassage? Wie auch immer. Jedenfalls hatte ich meine erste in Singapur. Eigentlich bin ich ja etwas skeptisch, was diese asiatischen Gesundheitsmethoden betrifft. Ich bin einfach der festen Überzeugung, dass man jemanden nicht mit Nadeln pieksen sollte oder ihm die Hände klatscht, bis sie rauchen. Oder was die hier sonst so veranstalten, um sich wieder auf Vordermann zu bringen. Aber Fußreflexmassage? Das klingt entspannend. Was kann da schon schief gehen?

„Ich habe gehört, in Deutschland machen sie auch Fußmassagen“, sagt er, „aber sie machen es nicht richtig.“
„Nicht?“
„No, but here we go right to the point!“
Na, wenn’s so ist, denke ich mir – schließlich kommt der gute Mann aus Asien, und die müssen’s ja wissen.
„Können wir auf Sport umschalten?“ frage ich, weil im Massageraum ein Fernseher läuft.
„Klar.“

Er schaltet um: Poolbillard. Weltmeisterschaftsfinale. Ein Deutscher gegen einen Finnen. Ich lehne mich zurück, mache es mir gemütlich. Er schnappt sich meinen linken Fuß, cremt in ein, und ich denke: He, so kann’s weitergehen, tolle Sache, Fußreflexmassage. Vielleicht hätte ich vorher fragen sollen, was er eigentlich mit „right to the point“ meint …

Er bohrt sich mit seinen Stahlfingern in meinen Fuß, dreht ihn, knickt ihn, wringt ihn förmlich aus, während ich mit weit aufgerissenen Augen und einem stummen Schrei auf den Lippen auf ihn herabschaue.
„Auaaaaa! That hurt’s!“
„Yeah, that’s good …“
Fünfundvierzig Minuten geht das so, und weil er gerade einen Lauf hat, bekomme ich eine Hufschmied-Schulternmassage gratis.
„And?“ fragt er zufrieden. „How does it feel?“
„Good“, sage ich und schleiche aus dem Laden.

Wann werde ich endlich schlau und lasse einfach mal die Finger von Sachen, von denen ich nichts verstehe? Ich werde nie wieder richtig laufen können, nur weil ich mal wieder auf einen sadistischen Quacksalber hereingefallen bin.

Draußen bleibe ich vor einer Schaufensterscheibe stehen und sehe mit mit aufgeklapptem Mund hinein: Fußreflexmassage. Angeboten von einer hübschen und überaus zarten Thai. Sie massiert einer Kundin die Füße. Auch right to the point. Denn die lächelt selig ... im Schlaf.

Freitag, 23. März 2007

Trendsportart Schlafsegeln



Es ist ja so: Wenn man gerne zur See fährt, dann fängt das Vergnügen erst richtig an, wenn man das Schiff selbst steuert. Um das zu tun, braucht man zweierlei, nämlich erstens ein Schiff und zweitens einen Bootsführerschein. So ein Bootsführerschein ist häufig das Ergebnis eines mehr oder weniger lustigen Lehrgangs, und wer während der Hauptferienzeit schon einige Schiffsführer kennen gelernt hat, weiß: So schwierig kann der Prüfungsstoff nicht gewesen sein.
Wie dem auch sei: Wenn man eine Segelyacht mietet, geht das Vergnügen erst richtig los, wenn die Länge des Bootes die zehn Meter überschreitet. Unter Experten heißt der Satz natürlich richtig: wenn die Länge 35 Fuß überschreitet. Beim Schiff fahren ist es nämlich wie bei anderen ominösen und nicht allen zugänglichen Tätigkeiten: Es regiert der Elitejargon. Was ein Fuß ist, weiß man zwar, aber wie viel das in Zentimeter ist, weiß man natürlich nur, wenn man ständig zur See fährt oder zumindest so tut. Dann sagt man auch so wunderliche Dinge wie "Backbord, zwei Strich nach Backbord"! Oder man konstatiert mit ausdrucksloser Miene, dass das Wasser eine Handbreit unter dem Schandeckel stehe, wobei der seekranke Laie nur zustimmend nicken kann, weil es mit seinem Mittagessen ähnlich ist. Dass eine Kabellänge kein verrosteter Metalldraht ist, sondern ein Längenmaß von 187,50 Metern, kann man als normaler Mensch auch nicht gleich ahnen.
Warum man beim Schiff fahren – Verzeihung: auf See – nicht einfach sagen kann, dass man weiter nach links muss, bleibt eines der großen Rätsel unserer Zeit. Ähnlich verhält es sich mit der Frage, wieso ein einfacher Schrank in einer Segelyacht Schapp heißt. Nun ja, wenn es der Kursermittlung dienlich ist, wollen wir mal darüber hinweg sehen.
Apropos Kursermittlung. Als man noch nach gegisstem Besteck navigierte (sehen Sie, das verstehen Sie schon wieder nicht), da kam es schon mal zu Orientierungsproblemen. Wenn man nämlich darauf angewiesen ist, den Kurs alleine nach Orientierungspunkten an Land, nach der Kompassanzeige und unter Berücksichtigung der vermutlich herrschenden Strömungen zu berechnen, dann wird das Ergebnis nach und nach immer mieser, und die wirkliche Position weicht von der berechneten weiter und weiter ab. Man fährt also beispielsweise in Barcelona los und landet in Marseille, obwohl man eigentlich auf Ibiza in der Disco erwartet wird.
Dieses Problem gibt es heutzutage so nicht mehr. Das globale Positionierungssystem GPS beseitigt alle Zweifel und erlaubt auch Freizeitkapitänen, ihre Position genau zu bestimmen. Hätte es das schon 1492 gegeben, hießen die Indianer vermutlich nicht Indianer, sondern Karabiner, weil Kolumbus nicht auf die Idee gekommen wäre, er sei auf dem Weg nach Indien, sondern Vespucci hätte aufgrund der GPS-Daten gemeldet, dass man sich in der Karibik aufhielt.
Aber ich schweife ab. Zurück an Bord einer 12-Meter-Yacht. Vor der Ostküste Mallorcas herrscht Kaiserwetter, und zwar mit dem für Segler entscheidenden Nachteil, dass es fast windstill ist. Blaues Wasser, blauer Himmel, gelbe Sonne, braune Haut, knappe Bikinis, kalte alkoholfreie Getränke, aber eben kein Wind. Das Leben kann manchmal recht hart sein. Macht aber nichts, wenn man sich zu helfen weiß: Segel runter, alles auf Null, treiben lassen, Mann und Frau über Bord zum Abkühlen und Raubfischanlocken.
Während ich dem Treiben verträumt zuschaue, nähert sich aus der Ferne ein Schiff. Ein Segelschiff. Etwa gleich groß. Allein der Kurs gibt mir zu denken. Ich sehe das Schiff genau von vorne. Man stelle sich vor: Ringsumher nur Wasser, nur Wasser, nur Wasser. Kein weiteres Schiff. Die mallorquinische Küste ist so weit entfernt, dass man mit Mühe einen feinen dunklen Strich am Horizont ahnt. Aber dieses Schiff hält genau auf mich zu! Das grenzt ja an Willkür! Ohne Absicht geht das ja praktisch gar nicht!
Was tun? Motor anwerfen und aus der Schusslinie dümpeln? Hm, natürlich, das wäre eine Möglichkeit, aber dazu müsste ich die Badenden alleine zurücklassen – und ob das nahende Schiff für diese kleine Schar Menschen anhält? Eher nicht. Also standhaft bleiben. Wenn es zum Äußersten kommen soll, dann endet die Fahrt des Idioten eben hier und gleich. Keine Gefangenen!
In den nächsten Sekunden kriege ich keinen Schluck Rum, äh, ich meine, Mineralwasser herunter; das Glas klebt regungslos an meiner Handfläche und beschlägt leise vor sich hin. Dann wandert der Bug des Idiotenschiffs langsam nach links, äh, nach Backbord, also, ich meine, vom Idiotenschiff aus gesehen natürlich nach Steuerbord. Etwa fünfzehn Meter liegen zwischen uns, als der Kahn mein Wasserglas und mich passiert – und die Badenden, die vor Schreck das Wassertreten vergessen haben.
Am Ruder: niemand. An Deck: niemand. Vom Steuerrad führen zwei Taue zum Niedergang und hinunter in die Kajüte. Auch lautes Rufen führt zu keiner Regung. Ich überlege kurz, ob ich Brandpfeile in die feindliche Takelage schießen soll, verwerfe den Plan aber wegen zu großer Komplexität. Ich wüsste schon gar nicht, wo ich auf die Schnelle mein Glas abstellen sollte.
Was geht da drüben nur vor? Es bleibt eigentlich nur eine Möglichkeit: Der Skipper pennt. Was ihn so ermüdet hat, bleibt sein Geheimnis. Die Seeluft, Alkoholmissbrauch, körperliche Betätigung jedweder Art? Wir wissen es nicht. Heutzutage kann man auch nicht ausschließen, dass es sich um eine neue Trend- oder Extremsportart handelt, beispielsweise Schlafsegeln. Immer nordwärts, Richtung Menorca.
Hoffentlich kreuzt er unterwegs die Route eines Fährschiffs. Das ist leichter zu treffen.
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©2007 Julius Moll
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Donnerstag, 22. März 2007

Froschfreunde.



Manchmal kommt man wirklich auf komische Ideen. Da saß ich doch vor einiger Zeit mit meinem Freund Jens zusammen, weil wir eine Caravan-Tour unternehmen wollen. Um die Sache ein bisschen aufzupeppen, entschieden wir, dass ein Würfel an jeder großen Kreuzung entscheiden sollte, wohin die Fahrt geht: 1 und 2: geradeaus; 3 und 4: rechts; fünf und sechs: links.

Und um die Sache noch ein bisschen mehr aufzupeppen, wollten wir zwei Fremde als Mitreisende. Also haben wir eine Anzeige geschaltet, und tatsächlich haben sich zwei telefonisch gemeldet: Konni, ein latent aggressiver Yoga-Taliban und Rita, eine gut gelaunte, aber von Alzheimer geschüttelte Rentnerin.

Der Kontakt mit Rita war einfach: Sie war begeistert und wollte sich zur Verfügung halten. Der Kontakt zu Konni schon etwas schwieriger. Wir sprachen uns gegenseitig auf Band. So lernte ich Konni von seiner warmherzigen Seite kennen: eine Stimme, die jeden Satz mit "ne" enden ließ (Hallo, ich bin der Konni, ne), die säuselig komplimentierte (du bist so aufmerksam und sympathisch) und die ein so tiefes Verständnis für jedes Ding im Universum versprach, dass ich in Gedanken den Caravan schon mal mit Raumfrisch sprayte.

Vielleicht hätte mich stutzig machen sollen, dass Konni von spirituellen Bewusstseinsabenteuern sprach und bei seiner Spurensuche bereits bis an die Quellen der ältesten Hochkulturen der Welt gekommen war. Ich dachte ja eher an eine Reise durch das Elsaß, aber bitte: Jemand wie Konni würde die Tour sicher bereichern, zumal er mir auf Band schon seine ganz besondere spirituelle Freundschaft anbot.

Irgendwann hatten wir uns dann endlich am Telefon. Obwohl Konni eine Woche Power-Yoga im Hochsauerlandkreis hinter sich hatte, wurde ich das Gefühl nicht los, dass ihn das nicht entspannt hatte. Er wurde kratzbürstig, als ich ihm vorschlug, dass wir uns in einem Café treffen sollten, weil das keine „konsumfreie Zone“ war. Richtig garstig wurde er dann, als ich ihn darauf hinwies, dass er sich an den Kosten der Tour beteiligen musste. Er war davon ausgegangen, dass ich ihn einladen würde, schließlich waren seine finanziellen Verhältnisse „ein totales Desaster“.

Und da er gerade so schön wütend war, hat er mir dann erklärt, welches Leben ich führte und welches er, denn Yoga-Konni schwebte wie ein Adler durch die Sphären der Erleuchtung, wohingegen ich wie ein Frosch in einem Brunnen hockte und nichts als Mauern sehen würde. Genau wie alle anderen, die mich umgaben: Bekannte, Verwandte und Freunde.
„Wenigstens hab ich welche“, antwortete ich knapp.
„JA, FROSCHFREUNDE HAST DU! FROSCHFREUNDE!“ kreischte Konni empört.
Während er dann in langen Monologen über fernöstliche Weisheitsschätze dozierte und auch das Universum und den ganzen Rest darin einschloss, überlegte ich mir, ob meine Freunde eher wie Frösche oder wie Adler aussahen. Ehrlich gesagt kam ich zu keinem befriedigenden Ergebnis. Ich hatte einen Teddy im Angebot, und das auch nur sehr vage, und wollte fragen, ob der auch zähle, als ich bemerkte, dass ich schon aufgelegt hatte.

Jedenfalls rief ich noch Rita an, um ihr mitzuteilen, dass wir nur noch zu dritt sein würden.
„Woher haben Sie meine Nummer?“ fragte sie misstrauisch.
„Ähm, Rita, wir haben schon zweimal telefoniert.“
„Haben wir nicht.“
„Wir wollten mit dem Caravan ...“
„Hören Sie auf, solche Sachen zu sagen, junger Mann. So was mache ich nicht.“
Dann legte sie auf.
Wir sind dann nicht gefahren. Caravanreisen werden ohnehin überschätzt.

Dienstag, 20. März 2007

Kokosstrand ist abgebrannt.



Cocoa Beach Club, 5200 Ocean Drive Boulevard, Cocoa Beach, Florida. Es gibt solche Adressen, bei deren Anblick man sofort weiß, worum es geht. Und wo man sofort weiß: Da muss ich ferien!
Leider ist das reservierte Apartment bei der Ankunft noch nicht frei. Über ein Weltmeer und mehrere Zeitzonen hinweg kann man schon mal um einen Tag aneinander vorbei reden. Macht aber nichts, schließlich gibt es in Amerika Motels. Das nächste freie Zimmer liegt quasi in unmittelbarer Nähe, das heißt, mit dem Auto keine halbe Stunde entfernt und verkehrsgünstig gelegen wie vieles in Florida, nämlich gleich an der Hauptstraße.
Cocoa Beach ist ein typisches Straßendorf, wie man sie beispielsweise auch in Schleswig-Holstein findet, nur eben ein bisschen anders. Das Wetter ist vergleichsweise begeisternd, Reetdächer sucht man vergeblich, und niemand wird ernsthaft bestreiten wollen, dass es in Schleswig-Holstein weniger Palmen gibt als in Florida.
Die Hauptstraße, wie gesagt. Das freie Zimmer liegt ihr zugewandt. Klar, dass zunächst die in Richtung Meer weggehen. Außerdem ist der Kühlschrank leer. Den muss man selber füllen. Solche Anfängerfehler machen amerikanische Hotelmanager nicht. Nun, es ist kein wirkliches Problem. Vom Fenster aus sehe ich auf der anderen Straßenseite einen Drugstore. Das ist so ein Laden, wo man Pillen kriegt, aber auch Alkoholika. Irgendwie sind die Amis da schon wieder einen Schritt voraus.
Also, Schuhe wieder an und hinaus in die freie Welt. Knapp hundert Meter – das geht man gewöhnlich zu Fuß. Verblüffenderweise bin ich der einzige Fußgänger weit und breit, aber nun ja: Die Temperatur liegt bei 35 Grad und die Luftfeuchtigkeit jenseits der 100 Prozent.
Im Drugstore allerdings liegt die Temperatur nur knapp über dem Gefrierpunkt. Das Bier steht zusätzlich im Kühlschrank und ist daher doppelt kalt. Mit dem Sixpack, verpackt in eine braune Alkoholikertüte, und einer unangenehm kühlen Großfamilientüte Chips mache ich mich auf den kurzen Rückweg. Da es auf der Hauptstraße einen schmalen begrünten Mittelstreifen gibt, nehme ich den direkten Weg. Als ich vier Fahrspuren hinter mich gebracht habe und auf dem Mittelstreifen kurz den Überblick zu gewinnen suche, bricht das Inferno über mich, die Chips und das Bier herein. Ein roter Mustang rast an mir vorbei, und aus dem geöffneten Beifahrerfenster feuert jemand auf die Verfolger: Acht Streifenwagen, die sehr ordentlich je eine Spur benutzen, vier davon allerdings in der Gegenrichtung. Als Streifenwagen Nr. 3 mit splitternder Windschutzscheibe ausschert und mit vollem Karacho in mein Motelzimmer fährt, kommt mir der vage Gedanke, dass es sich nicht um eine Filmszene handelt. Diese Vermutung wird durch die Abwesenheit jeglicher Kamerateams erhärtet.
Inzwischen brennt das Motel lichterloh. Ich setze mich auf dem Mittelstreifen nieder und entnehme der braunen Tüte eine der sechs Bierflaschen. Zehn Sekunden später ist sie leer, und ich entnehme die zweite. „Offenes Trinken von Alkohol ist verboten, Sir,“ sagt eine raue Stimme. Neben mir steht ein Polizist und sieht mich streng an. „Bitte packen Sie die Flasche wieder ein und zeigen mir Ihren Ausweis. Wo wohnen Sie?“
Nun hätte ich gewarnt sein können, nein: müssen. Schließlich war ich schon ein paar Mal in Amerika und habe zudem genug darüber gelesen. Aber können Sie es mir wirklich verdenken? Hätten Sie wirklich etwas anderes erwidert als „Mein Zimmer ist gerade abgebrannt, Officer“?
Wie auch immer, die Nacht in der Polizeistation war mies, denn keiner kümmerte sich um mich. Sie waren alle mit der Verfolgungsjagd und dem Motelbrand beschäftigt. Irgendwann im Morgengrauen durfte ich wieder gehen. Ich solle das nächste Mal nicht wieder auf der Hauptstraße herumstreunen. Sehr witzig!
Als ich, vom Feuer meiner gesamten Habe beraubt, im Cocoa Beach Club ankam, um mein reserviertes Apartment verspätet in Besitz zu nehmen, war der Portier gerade beschäftigt, einen anderen Gast zu betreuen. Der hatte am Morgen im nahen Golfclub gespielt. Am dritten Loch lag einen Meter von der Fahne entfernt ein Alligator, vermutlich geflohen vor dem Motelbrand. Das Spiel war wegen Unwohlseins des Golfers abgebrochen worden. Lang lebe der Kokosstrand!
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©2007 Julius Moll

Sonntag, 18. März 2007

Winterurlaub im Kitschtal



Abreise war ja am Freitag. Geplant. Am Samstagmittag gings dann los, sie hatte ja auch inzwischen noch einen Skianzug gefunden. Obwohl die Saison ja schon vorbei ist.
Dennoch, im Schlussverkauf. Aber kaum angekommen: Sudden death of Tante. Also zurück. Wäre sowieso nicht so toll gewesen, der ganze Schickimickikram mit Ski und Schnee und was-weiß-ich.
Tante wohnte in Gelsenkirchen. Das bleibt jetzt auch so, weil sie sich ja dort schon eine Grabstätte reserviert hat. Um die kümmere ich mich jetzt an meinem dritten Urlaubstag.
Die bessere Hälfte muss mit dem Pfarrer sprechen. Inzwischen schaue ich mir Gelsenkirchen an. Das war auch ihre Idee.
Gelsenkirchen: Wenn man eine Stadt nicht kennt, schaut man halt in den Reiseführer. Für Gelsenkirchen gibt es aber keinen Reiseführer. Aber es gibt ein Ordnungsamt. Und eine topaktuelle Untersuchung der Abteilung für Stadtmarketing, wie ich dann auf dem Ordnungsamt erfahre.
Kurz zusammengefasst bewerten die Passanten die Orientierung in der Stadt und auch die Beleuchtung insgesamt positiv. Die Einkaufszone wird aber eher als abstoßend, provinziell, langweilig, öde, heruntergekommen und teuer bewertet. Welche andere Stadt kann das von sich behaupten?
Vor dem Ordnungsamt werfe ich ein paar Münzen in den Wunschbrunnen. Durch das Fenster schaue ich den Beamten beim Spielen zu. Sie haben ein neues Grafik-Adventure von Microsoft auf den Behörden-Monitoren laufen, es heißt Vista oder so. Der anscheinend eher weibliche Behörden-Computer kommentiert anscheinend weitschweifig jede geringe Kleinigkeit.
Alles wie zuhause.
Auch meine Heimatstadt Chemnitz gilt, wenn man Zeitungsberichten glauben darf, vielfach als öde und langweilig. Aber ich bin ja in Gelsenkirchen. Da kommt man in die Hölle und merkt erst nach Tagen, dass man gar nicht zu Hause ist.
Aus einem Blumenkasten tropft mir auf dem Weg zu Tantes Haus braune Gelsenkirchener Brühe auf meine weiße Fallschirmseidenjacke. Ich meine, einen Schutz gegen alles Mögliche gibt es nicht. Es können auch Dachziegel oder Äste runterfallen und Passanten treffen. Kein Grund, Blumenkästen zu verbieten. Ich glaube, das Landgericht München hat das auch schon mal so entschieden.
Na ja, die Jacke ist hin. War meine Lieblingsjacke, hinten drauf steht „Urlaub im Kitschtal“.

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©2007 Harnfried Schoßmüller-Knappentropf

Freitag, 16. März 2007

Das Grauen hinterm Riff



Es ist ja so: Wenn man weit weg will von allem Unbill des gewöhnlichen Tages, dann muss man Strapazen auf sich nehmen. Australien beispielsweise – das klingt mindestens nach wochenlangen Flugreisen und Thrombosen. Außer natürlich, man ist Australier. Aber selbst dann kommen von Perth an der Westküste bis zum Great-Barrier-Riff im Osten gut und gerne 6000 Kilometer zusammen. Das geht in Europa unter Brüdern leicht als Fernreise weg.
Wenn man das Barrier-Riff allerdings irgendwann erreicht, gibt es viel zu sehen. Mit Touristen bepackte Katamarane fahren mehrmals am Tag von Cairns und Port Douglas hinaus zum Riff und speien schnorchelnde Strampler ins friedliebende Wasser. Tausende von Fischen versammeln sich zu gegebener Zeit an den Ankerplätzen und besehen sich das Elend – so etwas wie ein reverser Zoo. Ich kann nur sagen: Die Abwechslung sei ihnen gegönnt. Immer nur im Wasser herumschwimmen, dauernd diese Sonne, keine geregelte Arbeit: Das ist eine grauenhafte Vorstellung.
Grauenhaftes spielt sich auch ein paar tausend Kilometer nordöstlich ab. Nehmen wir mal die Fiji-Inseln als Beispiel. Da haben sich die Bewohner eines Dorfes bei den Nachkommen eines englischen Missionars entschuldigt. Ihre Groß- und Urgroßeltern hatten den Gottesmann vor 130 Jahren verspeist. Der Grund: Pfarrer Baker hatte den Fehler begangen, das Haupt des damaligen Häuptlings zu berühren – vermutlich um herauszufinden, ob die Kriegsbemalung schon trocken war. Sie war es. "Kochen und essen", lautete der umgehende Befehl.
Aber wie das so ist: Das schlechte Gewissen lässt nicht nur den Einzelnen schlecht ruhen, sondern auch ganze Dorfgemeinschaften. Um einen ewigen Fluch zu bannen, bot sich nur eine rituelle Entschuldigung an. Daher nun die Einladung an die Nachfahren des unvorsichtigen Missionars, an der Zeremonie teilzunehmen. Man darf gespannt sein, was es beim Fest zu essen gibt.
Apropos essen: Damit haben die Polizisten im indischen Bundesstaat Uttar Pradesh ein Problem. Ihr Chef behält ein Monatssalär ein, wenn sie nicht abnehmen, denn sie sind so dick, dass sie die Strolche nicht mehr verfolgen können – manche allein deshalb, weil sie nicht hinter das Steuer ihres Dienstfahrzeugs passen.
Und wenn so einer dann verreisen will, wird's doppelt teuer. Viele Fluggesellschaften verlangen inzwischen, dass man zwei Sitze bucht, wenn man zu fett ist für einen. James Crogie aus England tat dies auch, und die Fluggesellschaft buchte die Plätze. Allerdings in unterschiedlichen Reihen. Da macht das schönste Übergewicht keine rechte Freude mehr – und Fiji wird zur echten Alternative.
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©2007 Julius Moll

Donnerstag, 15. März 2007

Bora! Bora! Bora!



Neulich traf ich nach langer Zeit meinen alten Freund Frank. Wir hatten uns ewig nicht gesehen, eigentlich nicht mehr seit dem Abitur. Obwohl wir in derselben Stadt wohnen. Aber wie so etwas eben ist: man geht verschiedene Wege, lernt neue Leute kennen, schuldet dem anderen noch 387, 59 D-Mark für das eigene Auto, das er besoffen im Halteverbot geparkt hat und das dann abgeschleppt wurde ... und schon verliert man sich zwanzige Jahre aus den Augen. Und dann steht er plötzlich vor mir. Einfach so. Im Kaufhaus. Mit einem Sieben-Tage-Pack Unterhosen.

Der Zufall wollte es, dass wir beide Urlaub hatten, und weil das Wetter schön war, sind wir in einen Biergarten gefahren und haben in alten Zeiten geschwelgt. Was aus den anderen geworden ist, was aus einem selbst geworden ist. Wer verheiratet, geschieden, tot war. Das alles musste natürlich ausgiebig begossen werden, und Frank versicherte großzügig, die Zeche zu übernehmen. Wegen des Autos, damals. Ach, das Auto, lächelte ich, glatt vergessen. War natürlich gelogen ... 387,59 D-Mark und ne Beule hatte die Kiste auch noch.

Aber ich vergaß meinen Groll mit jedem Bier, das wir bestellten, und als wir auf Wodka-Lemon umstiegen, war ich der Überzeugung, man sollte die Vergangenheit ruhen lassen. Wir sprachen über Reisen. Fernreisen. Und stellten fest, dass wir beide kaum raus gekommen sind aus unserer Stadt. Früh geheiratet, Familie gegründet, im Job gerackert – wie so etwas eben ist. Eigentlich das Beste verpasst.

Zwei Runden weiter waren wir inmitten von Plänen. So wie wir sie früher gemacht haben. All die Dinge, die wir dann doch nicht unternommen haben, obwohl sie bis ins Detail geplant waren. Aber diesmal war es anders. Diesmal wollten wir uns eine Auszeit gönnen und losfahren. So schnell wie möglich. Nach Südamerika. Asien. Australien ... obwohl, wenn ich mich recht erinnere, fiel Australien im Laufe des Abends aus dem Raster, weil touristisch zu verseucht. Wir wollten die Surviving-Selbsterfahrungstour. Mit Abenteuer jeder Art. Durch den Dschungel, über Berge, im Untergrund kämpfend für ein freies Kambodscha. So Sachen.

Gegen Mitternacht sind wir dann noch in eine Kneipe, von der Frank gehört hatte, dass sie ein echter Geheimtipp wäre. Da ich mittlerweile zu blau war, ist er gefahren. Am Ende der Nacht stand die Route dann fest: Köln – Angola – Bora Bora – Feuerland – Salzgitter. Frank ist dann nach Hause: packen.

Wir wollten uns am Flughafen treffen. Gleich mit der ersten Maschine los. Ich hätt´s auch gemacht. Wenn das Auto nicht im Halteverbot gestanden hätte. Keine Ahnung, ob Frank am Flughafen auf mich gewartet hat. Ich geh mal davon aus, dass ich vorerst nichts mehr von ihm höre.

Samstag, 10. März 2007

Affen, stark.


Auf Reisen kann einem viel Unangenehmes widerfahren, aber auch da gilt häufig: Wie man in den Wald ruft, so schallt es heraus. Diese Erfahrung musste ein Urlauber machen, der sich in Saudi-Arabien daneben benommen hatte. In der Bergregion zwischen Tael und Mekka war er mit seinem Auto zu schnell unterwegs gewesen und hatte dabei einen Pavian überfahren. Fahrerflucht, Unfallopfer tot.
Geben Sie zu: Ihnen kommt der Gedanke, dass es sich nur um einen Affen handelte, und dass Sie dafür auch nicht groß angehalten hätten. Schon gar nicht zwischen Tael und Mekka.
Nun ja, da hätten Sie aber die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Lesen Sie selbst: Drei Tage nach dem tödlichen Zwischenfall passierte der Unfallfahrer erneut die nämliche Stelle. Was er nicht wusste: Der Anführer der Paviangruppe hatte seine Untertanen zusammengezogen und einen Hinterhalt organisiert – offenbar in der ehernen Gewissheit, dass der Todesfahrer erneut auftauchen würde. Als dieser sich näherte, gab der Pavianführer den Seinen das Angriffssignal, und die Horde deckte das Auto mit einem Hagel aus Steinen ein. Die Scheiben gingen zu Bruch; Fahrer und Beifahrer überlebten mehr oder weniger unbeschadet. Die Horde der Rächer ist flüchtig.
Bei solchen Berichten ist man versucht, lieber zu Hause zu bleiben. Aber auch da lauern Ungemach und Wahnsinn. Reden wir nicht über den betrunkenen Seemann, der mehrmals die Küstenwache alarmierte, weil sein Plastikschiff während des häuslichen Wannenbades dauernd kenterte. Reden wir über die Babysitterin, die eine Fünfjährige und ein zehn Monate altes Baby zu betreuen hatte. Die Aushilfsmutter rief die Polizei, weil sie mit den Bälgern nicht mehr klar kam: Die Ältere hatte ihre Brille versteckt und die Kleine plärrte ununterbrochen. Als die Polizei eintraf, fand sie allerdings eine beruhigte Lage vor. Die Babysitterin hatte inzwischen Tränengas eingesetzt und sich selbst bis 2,8 Promille betankt. Ob sie der Fünfjährigen durch diese Maßnahmen das Geheimnis des Brillenverstecks entreißen konnte, ist nicht überliefert. Jedoch beginnt man über die vage Vermutung zu grübeln, dass die Paviane mit einer solchen Situation besser fertig geworden wären.
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©2007 Julius Moll

Freitag, 9. März 2007

Lauf! Medizinmann! Lauf!


Vor einiger Zeit las ich eine Meldung in der Zeitung, die mich nachdenklich machte. In Ghana, ich glaube zumindest, dass es Ghana war, behauptete ein Medizinmann, dass er eine Salbe erfunden hätte, die unverwundbar mache. Offenbar mit charismatischem Talent gesegnet fand er einen Probanden, dem er die Salbe auftrug und der sich darob stolz seinem Dorf als unverwundbar präsentierte.

Das machte natürlich auch das Dorf stolz auf seinen unverwundbaren Sohn, denn wer hat das schon: einen Superhelden – mitten im Busch? Irgendeiner muss dann doch genörgelt haben, weil man zwar viel behaupten könne, es aber auch beweisen müsse. Und weil der junge Mann mittlerweile fest daran glaubte, dass er unverwundbar war, der Medizinmann sowieso daran glaubte, dass sein Jünger unverwundbar war, und auch der Rest des Dorfes daran glaubte, haben sie es dann mit einer Pistole getestet ... na ja, was soll ich sagen: er hat es nicht überlebt.

Jetzt ist es ja so, dass wir alle an etwas glauben, und warum nicht an Unverwundbarkeit? Was mich erschüttert, ist: Warum hat er ihm nicht in den Fuß geschossen? Oder in die Hand? Oder mal kräftig Zwicken. Hätte vielleicht auch gereicht. Warum immer aufs Ganze? Warum immer gleich Sterben für seinen Glauben?

Möglicherweise ein Männerproblem. Ich hab noch nie gehört, dass eine Frau so was gemacht hätte. Aber vielleicht glauben die ja nicht richtig. In einer Welt ohne Supermannheftchen, Fußballgötter und Bierkästen bleibt einem nichts als schnöder Nihilismus. Wahrscheinlich hat sogar eine Frau auf ihn geschossen. Ich wette, es war seine eigene.

Den Medizinmann haben sie jedenfalls versucht, am nächsten Baum aufzuknüpfen. Ob es ihnen gelungen ist, ist nicht überliefert. Ich hoffe nur, dass es ihm vorher gelungen ist, sich den Hals mit seiner Salbe einzuschmieren. Mag sein, dass die Unverwundbarkeit bei Schusswaffen nicht wirkt. Bei Stricken soll sie super sein. Ist alles nur eine Frage des Glaubens.