Samstag, 1. Mai 2010

Offener Brief


Sehr geehrter Herr Landrat,

bitte erlauben Sie mir, mit diesem Schreiben den vorbildlichen Einsatz Ihrer Mitarbeiter loben: Wirklich erste Klasse!

Als ich am Vormittag des Karfreitags durch Kalsbach raste, auf dieser gefährlichen, weil gut ausgebauten Strecke, die geradezu einlädt, das Maß für Geschwindigkeit zu verlieren, und dabei von Ihrem Mitarbeiter durch ein grelles, rotes Licht in die Realität zurückgeblitzt wurde, war mein erster Gedanke: Verdammter Mist, das gibt’s doch nicht! Dann aber ging es mir auf: Welch ein selbstloser Einsatz! Am Feiertag! Großartig! Anstatt den Tag mit Frau und Kindern zu Hause zu verbringen, fährt dieser wackere junge Mann frühmorgens mutterseelenallein hinaus und tut zwei gute Dinge gleichzeitig: Er schützt die Bürger vor potentiellen Mördern und saniert den Haushalt des Landkreises. Chapeau!

Auch die Denker und Lenker dahinter sind zu loben. Menschen mit Übersicht und Augenmaß, von denen es leider zu wenige gibt. Hier aber gibt es sie, und sie tun ihre Pflicht. Sie sorgen dafür, dass wir alle ein warmes Gefühl von Sicherheit verspüren dürfen, und erinnern uns daran, dass wir nicht allein sind.

Während ich so weiter fuhr und nachdachte, kamen mir viele Ideen zu diesem Thema. Und die möchte ich nicht für mich behalten. Nein, ich möchte helfen, möchte mich fürs Gemeinwohl einbringen. Und so erlauben Sie mir bitte, Ihnen wenigstens einen dieser Gedanken mitzuteilen.

Die Idee der Geschwindigkeitskontrolle als Profitcenter ist ja nicht ganz neu, aber bewährt. Man sollte sie auch unbedingt beibehalten. Nur die Ausführung war in diesem Fall suboptimal. Die Straße durch Kalsbach fühlt sich durch ihre Breite, ihren Belag, ihren ganzen Ausbau wie eine Strecke an, auf der man locker siebzig fahren könnte, die aber auf fünfzig begrenzt ist. Als geschlossene Ortschaft kann man die Straße auch nicht wirklich bezeichnen. Gefühlt, meine ich. Sie, Herr Landrat, können ja, und haben auch. An vielen, ungezählten anderen Stellen – auch in unserem Kreis – sind vergleichbare Ortsdurchfahrten auf siebzig Stundenkilometer begrenzt. Und hier möchte ich ansetzen. Deklarieren Sie die Kalsbach-Durchfahrt doch bitte als Dreißigerzone! Das wäre doch viel ergiebiger!

Eigentlich liegt es doch auf der Hand: Ich zum Beispiel preschte an jenem Karfreitag mit 56 km/h durch Kalsbach, direkt vor mir fuhr dieser Golf mit den zwei Damen und den beiden Hunden, ebenfalls im Geschwindigkeitsrausch. Dafür sind auch sie geblitzt worden. Aber, und jetzt folgt die Pointe: Sechs Stundenkilometer zu viel bringen doch gerade mal 15 Euro in die Kasse!

Zudem war auch das Verkehrsaufkommen denkbar gering! Und dennoch opferte Ihr junger Mitarbeiter seine Zeit. Vermutlich mit Feiertagszuschlag. Ja, lohnt sich das denn? Wenn das eine Dreißigerzone wäre, hätte sich der ganze Aufwand doch viel besser gerechnet! Da wären doch mindestens 80 Euro zusammengekommen. Pro Auto! Und dreißig zu fahren macht an dieser Stelle genauso viel – respektive wenig – Sinn wie fünfzig. Aber fürs Gemeinwohl wäre es doch viel nützlicher.

Ehrlich gesagt, habe ich mir auch schon zarte Vorwürfe gemacht, dass ich so zögerlich gefahren bin. Ein bisschen mehr Engagement hätte wohl dabei sein dürfen. Da sollte ich vielleicht mal meinen Egoismus hinterfragen. Jedenfalls habe ich mich nach intensivem Nachdenken dazu entschlossen, Ihnen statt der geforderten 15 Euro freiwillig 17 Euro zu überweisen. Verstehen Sie die zusätzlichen 2 Euro bitte als pekuniäres Schulterklopfen, verbunden mit der Aufforderung: Weiter so!

Mit freundlichen Grüßen,
Ihr Paul Schmitz


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©2010 Paul Schmitz