Freitag, 13. Juni 2008

Tirana, Tirana


Da gibt es ein Haus, mitten in Tirana, grau und wuchtig wie ein Turm, das hat keine Klingel und keinen Posteinwurf. Kein Erdgeschoss und keine Adresse. Kleine Fenster und ein massive Eisentür. Es ist bewohnt, aber die Bewohner verlassen dieses Haus nie. Es ist nicht schön, aber es blieb als einziges stehen, als Bürgermeister Edi Rama vor ein paar Jahren die vielen Buden und Häuschen an der Lana, dem kleinen Bächlein, das durch Tirana fließt, abreißen ließ, um Ordnung zu schaffen. Jeder kennt dieses Haus, aber es hat keinen Namen.

Architektur ist so eine Sache in Tirana. Vieles von den traditionellen Bauten ist nicht mehr da, weil es durch ausgesucht hässliche Hochhäuser ersetzt wurde, die vornehmlich der kommunistische Diktator Enver Hoxhas (gesprochen: Hodscha) bauen ließ und damit maßgeblich zu Tiranas Verschandelung beitrug.

Edi Rama hat in den letzten Jahren dafür gesorgt, dass sich das gebessert hat. Nicht nur, weil er die Favellas an der Lana abreißen ließ – mit Ausnahme des beschrieben Turms – sondern auch, weil er mit einem kleinen Trick große Wirkung erzielte: der ehemalige Künstler Rama ließ die hässlichsten Häuser einfach bunt anmalen.

Ansonsten herrscht so etwas wie Wilder Westen – besser noch: Wilder Südosten – im albanischen Baugewerbe, mit zum Teil skurillen Ergebnissen. Auf der Suche nach Bauland in der begehrten Innenstadt, sind die Bauunternehmen nicht sehr zimperlich. Da wird Bauland gefunden, wo man vorher gar keines vermutet hätte.

Wie zum Beispiel eine Straße. Da ist doch schön viel Platz! Warum also nicht ein Haus draufbauen? Was soll ich sagen: Sie haben es gemacht. Und nicht nur einmal. Ein Hochhaus. Mitten auf einer Durchgangsstrasse. Die jetzt natürlich eine Sackgasse ist. Von beiden Seiten.

Auch Baupläne sind eher so etwas wie vage Absichtserklärungen. Da steht ein Bauamtsleiter schon mal vor einem zehnstöckigen Haus und stiert ungläubig auf den genehmigten Plan, der nur vier Stockwerke ausweist.
Ha, ich kann den Polier geradezu vor mir stehen sehen, wie er sich ein bisschen verlegen am Kopf kratzt und sagt: „Nun, wir waren gerade so gut drauf und hatten auch noch Material über und, äh ...“

Früher war es übrigens üblich, dem Bau ein lebendes Opfer zu bringen. Heute beschränkt man sich auf Teddys. Die werden im Rohbau auf Stahlgitter gespießt und sollen böse Geister abhalten. Wenn Sie mich fragen sieht es eher so aus, als wären die bösen Geister schon da.

Die größte Geschmacksverirrung jedoch steht im Stadtzentrum und geht wieder auf Hoxhas Konto: eine Pyramide. Sie sollte sein Mausoleum werden. Bemisst man den Dachschaden von Diktatoren an ihren baulichen Hinterlassenschaften, so wird hier überdeutlich, mit wem es die Albaner vier Jahrzehnte lang zu tun hatten: einem größenwahnsinnigen Spinner. Paranoid dazu, weil er das kleine Land mit etwa 600.000 Bunkern hat pflastern lassen. An strategisch wichtigen Stellen, versteht sich. Was für Albanien bedeutet: alle paar Meter.

Bleibt noch das graue Haus an der Lana. Das Vendetta-Haus. Denn dort sitzen die zum Tode Verurteilten. Nicht durch den Staat, sondern durch verfeindete Clans. Solange sie in diesem Haus bleiben, dürfen sie weiterleben. Verlassen sie es jedoch ... Lebenslänglich der etwas anderen Art. Das Haus ist Teil von Albaniens Kultur, steht in Tiranas Zentrum vor aller Augen und doch steht es allein da. Isoliert. Wenn man Albaner dazu befragt, zucken sie mit den Schultern: niemand weiß darüber genaues. Und es interessiert sie auch nicht. Dennoch ist es da. Ein zu Stein mutierter Anachronismus.

Ich frage mich, wie es in dem Haus aussieht? Wie viele mögen darin leben? Und wie gehen sie miteinander um, wenn sie dort Tür an Tür wohnen? Vielleicht kommen sie gut miteinander aus. Ein gemeinsames Schicksal schweißt Menschen oft zusammen. Vielleicht werden sie mit den Jahren sogar zu Freunden. Während sich ihre Familiemitglieder draußen weiterhin hassen. Unüberwindbarer Hass.

Und nicht mal Edi Ramas Farbe kann das übertünchen.

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