Montag, 7. Mai 2007

Satanische Pudel


In Japan kennt man keine Schafe. Vielmehr hat man da nicht so große Erfahrungen mit Schafen. Was ich erstaunlich finde, denn das gemeine Schaf ist außer im Dschungel oder in der Wüste recht oft zu finden, und man kann ja kaum behaupten, dass Japan Sumpf- oder Wüstengebiet wäre.

Warum ich das erwähne? Weil ich letztens Zeitung gelesen habe. Und was glotzt mich da auf einem riesigen Foto an? Ein Schaf, richtig. Also genauer gesagt: ein Lamm. Nur sah es nicht aus wie ein Lamm, sondern wie ein Pudel. Sie wissen schon: toupierte Haare, rasierte Kränze um die Füße, Lockentolle und Bömmelchenschwanz. Zum Schießen.

Noch erstaunlicher war der Bericht zum Bild, denn das rasierte und toupierte Lämmchen wurde von einem Polizisten in die Kamera gehalten. Als Beweisstück, quasi. Eine heimtückische Bande hatte es fertig gebracht, rund 2000 Lämmlein zu rasieren und zu toupieren und als Königspudel im Internet anzubieten.

Jetzt ist die Idee so schräg, dass man förmlich die Handschellen klicken hört, weil ja niemand so blöd sein kann, ein Lamm nicht von einem Pudel zu unterscheiden, aber in Japan hat man eben nicht so viel Erfahrung mit Schafen, wohl aber ein großes Verlangen nach Königspudeln.

Was soll ich sagen: Die Bande hat tatsächlich alle 2000 Lämmlein vertickt. An ebenso viele Japaner. Und es wäre wohl nicht einmal herausgekommen, wenn sich eine japanische Schauspielerin nicht beschwert hätte, dass ihr Pudel so komische Geräusche von sich geben würde und das Fresschen verweigert.

Jetzt kann man ja mal reingelegt werden, und die Lämmchen sahen wirklich scharf aus als Pudel, und dass sie kein Hundefutter mochten, hätte man ja noch als vegetarische Veranlangung durchgehen lassen können und ein Bääähbäähh vielleicht noch als Fremdsprache, aber hat denn niemand drüber nachgedacht, dass Hunde keine Hufe haben?

Es sei denn, der Pudel wurde in ganz bestimmten Kreisen angeboten und verkauft. Dann allerdings gäb’s keinen Grund zur Beschwerde, denn rasierte und toupierte Lämmer wurden schon im Mittelalter als satanische Pudel verfolgt, auf den Scheiterhaufen gebracht und anschließend gegessen.

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©Kölnisch-preußische Lektoratsanstalt

Samstag, 5. Mai 2007

Weg, in Sizilien


Wir waren Weihnachten wieder in Sant’Ambrogio auf Sizilien. Es war ein schöner Urlaub. Nein, Fotos habe ich keine. Ich hatte den Apparat vergessen. Den neuen. Der alte ist ja kaputt. Wir sind zusammen gefahren, mit Manni und Ute. Ute hat zwei Kinder. Auf die Große können sie stolz sein, Ute und ihr Mann. Die jüngere wollte Ute gar nicht bekommen, aber dann …
Manni ist Frauenarzt. Ute lebt mit ihm und ihren beiden Töchtern in einem großen Haus gemeinsam mit seinen (also Mannis) Eltern unter einem Dach. Wir fahren alle zusammen, natürlich jeder in seinem Auto. Im Urlaub, meine ich. Und immer nach Sant’Ambrogio, das ist ganz abgelegen und es gibt dort keine Touristen. Wir gehören schon fast zu den Einheimischen.

Doch einen Tag nach ihrem 16. Geburtstag war Renate plötzlich verschwunden. Renate ist die jüngere Tochter, hatte ich das erwähnt?
Es war ein furchtbarer Tag. Es stürmte und regnete junge Hunde.
An diesem Tag ist schon eine Frau aus dem Dorf verunglückt, sie ist hingefallen. Durch den Regen war die Straße aber auch so glatt wie eine Schlittschuhbahn.
Die Straßen in Sant’Ambrogio sind fast alle gepflastert, das macht die Sache noch schlimmer – oder schöner, bei Sonne zum Beispiel.

Als Ute vom Strand kam – Ute geht im Urlaub jeden Tag an den Strand, warum auch immer, aber das tut hier nichts zur Sache –, als sie also zurück in das Ferienhaus kam, da dachte sie, Renate wäre oben in dem kleinen Dachzimmer. Die Mädchen hatten ein Dachzimmer, bei Sonnenschein viel zu warm. Nicht an diesem Tag, denn es regnete ja. Ute dachte also, Renate ware oben und würde zum Beispiel lesen. Oder Musik hören. Oder irgendwas anderes machen.

Genaugenommen weiß ich nicht, was Ute dachte. Sie hat nur erzählt, sie hätte gedacht, Renate wäre oben in dem besagten Zimmer.
Doch dem war nicht so.

Manfred, den alle immer Manni nennen (natürlich nicht seine Patientinnen, und von den Sprechstundenhilfen nur Frau Hafermann, aber die ist ja schon über 40), wollte Renates große Schwester Heike an diesem Nachmittag ja abholen. Zu Fuß. Sie war in der Eisdiele. Aber bei dem Wetter … also ging Ute selber los.
Doch sie traf Heike nicht an der Eisdiele. Sie sei angeblich schon nach Hause gegangen. Aber das stimmte auch nicht. Nur wusste das keiner.
Mehr als seine Stunde suchten sie nach ihr. Ohne Erfolg.

Es wurden verschiedene Vermutungen aufgestellt. Erst dachte man, Heike sei nach Hamburg gefahren oder nach England. Weil ihr geliebtes Pferd Fury abgeholt wurde. Aus Hamburg, nach England.

Warum das geschehen sollte, weiß ich auch nicht. Vielleicht sollte ich Ute mal fragen. Ist ja komisch, ein Pferd abholen zu lassen, wenn man gar nicht da ist. Aber vielleicht habe ich da auch was falsch verstanden.

Dann vermutete man eine Entführung durch die verrückte Anita. Anita ist eine ganz harmlose Person, sie ist nie aus Sant’Ambrogio herausgekommen. Fast jedenfalls. Na gut, sie hat ihren Mann und seine Mutter umgebracht. Aber wenn man die beiden kannte, dann zeugt diese Tat eher von Scharfsinn, Weitsicht und einem ausgeprägten Gerechtigkeitsgefühl. Sie hat ja auch zwei Jahre dafür gesessen, in Palermo, glaube ich. Das haben mir die Einheimischen erzählt.

Die Familie wurde sogar noch mit verrückten Anrufen verwirrt. Mindestens mit einem.
„Verwählt“ soll der Mann in das Telefon gekeucht haben, mit verstellter Stimme, oder er hatte ein Taschentuch über die Sprechmuschel gelegt. Obwohl das gar nichts nützt, glaube ich. Als ich Frau Schonfleger angerufen habe wegen des Drecks vor der Garage, da hat sie mich sofort erkannt. Trotz Taschentuchs. Na ja, Ute kann kein Italienisch. Sie meint, es habe sich so angehört, als hätte der Anrufer etwas gesagt, das wie „verwählt“ auf Italienisch klang.

Ute war mit den Nerven total fertig. Die italienische Polizei stellt meist nur alte Vermutungen neu zusammen und unterstellt Touristen auch noch, dass sie ihre Kinder nicht gut erziehen. Ich kann nicht viel Italienisch; ich habe einen Kurs in der Volkshochschule gemacht, und manchmal verstehe ich auch nicht jedes Wort.
Wir haben die Polizei ja auch komplett rausgehalten. Aber wir hätten sie sicher noch angerufen, am Abend zum Beispiel.

Ute nahm dann ihre Füße in die Hand, und das Herz und die ganze Sache und fand sie dann oben in dem Dachzimmer. Die Mädchen hatten sich ja das Zimmer geteilt im Urlaub. Für eine Woche, da geht das ja mal. Man konnte ja nicht damit rechnen, dass es die ganze Zeit regnet. Heike war die ganze Zeit oben gewesen. Renate nicht, aber wo die an dem Nachmittag steckte, das habe ich bis heute nicht rausbekommen. Ich muss sie mal fragen bei Gelegenheit. Abends kam dann die Sonne wieder raus; es ist einfach herrlich, dort in Sant’Ambrogio.

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©2007 Harnfried Schoßmüller-Knappentropf

Mittwoch, 2. Mai 2007

Uunartoq Qeqertoq


Was es doch für schöne Inseln gibt: Fidschi, Tahiti, Tonga, Vanuatu, all die Atolle, Pulau Pulau Bompa nicht zu vergessen und Mururoa – nun gut, vielleicht doch nicht Mururoa, denn dort strahlt nicht nur die Sonne. Aber die anderen: blaues Meer, weiße Sandstrände, weiße Haie, Meeresschildkröten, Korallenriffe. Allerdings liegen diese Paradiese nicht besonders hoch über dem Meeresspiegel. Und damit lässt jeder im hohen Norden geschmolzene Eisberg das Wasser eine Handbreit weiter auf den Strand schwappen. Ein paar Jährchen noch, und die Paradieshäfen lassen sich nur noch mit U-Booten anlaufen. Kein Wunder, dass die Verantwortlichen, den König von Tonga eingeschlossen, bei jeder Meldung über die globale Erwärmung vor Besorgnis bibbern.
Weiter nördlich hat man andere Sorgen, die mit Bibbern wenig zu tun haben. Da gibt es nämlich gar kein Land, auf das Wasser schwappen könnte. Der einzige feste Grund unter den Füßen besteht aus Eis, und die meisten dieser Füße sind sechzig Zentimeter lang und gehören Eisbären, diesen Tieren, die aussehen wie Knut, aber viel größer und gefährlicher sind.
Nun heißt es ja, dass die zügige Schmelze des Bärengeläufs die Ursache dafür sei, dass die Großknuts in Kürze den Weg des Dodos gehen werden. Andererseits laufen die Eisbären ja nur deshalb übers Eis, weil sie auf der Suche nach leckerem Robbenfleisch sind. Und da liegt der Seehund begraben: Robben werden langsam, aber sicher, auch immer weniger, weil irgendwelche Menschen jährlich Zigtausende von ihnen abknallen. Da brauchen die Eisbären kein Eis mehr, über das sie laufen müssten, um Robben zu finden.
Stellen wir uns doch mal einen Strand vor, wo eine Robbe an der anderen liegt. Hundert Meter weiter treibt im Wasser eine Eisscholle. Glaubt jemand, dass ein zufällig vorbeikommender Eisbär die Robben links und rechts liegen ließe, zur Eisscholle schwömme und dort ein Loch grübe, um Robben zu finden?
Nun, wir alle kennen die Antwort. Natürlich bliebe der Bär an Land und am Strand und würde sich auch schnell daran gewöhnen aufzupassen, dass er beim Fressen nicht zu viel Sand zwischen die Zähne kriegt. Das kennt er vom Eisessen ja so nicht. Zur Eisscholle würde er nur noch schwimmen, um das überanstrengte Magengewebe ein wenig zu kühlen.
Wir sehen also, dass die Erderwärmung nicht zwangsläufig Katastrophen hervorruft. Nein, zudem sind die Folgen mitunter sogar recht verblüffend. Bei Grönland tauchte kürzlich unter einem schmelzenden Eisberg eine kleine Insel auf, die bislang noch niemand kannte. Versteckt unter einem Eispanzer hat sie geduldig darauf gewartet, bis genügend Menschen SUVs fahren, deren Abgase gerade ausreichen, um die Temperatur auf einen Wert zu heben, der das kalte Gefängnis schmelzen lässt. Nun steht sie da, mit steilen Felsen, denen auch ein höherer Wasserspiegel nichts anhaben wird. Sie wird dort auch noch stehen, wenn Tonga und die anderen längst versunken sind.
Das Land, das aus der Wärme kam. Oder wie die Inuit es nennen: Uunartoq Qeqertoq.
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©2007 Julius Moll
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