Freitag, 13. Juni 2008

Watch Watching


Als sie George W. Bush die Uhr geklaut haben, hat die ganze Welt gelacht. Und ich auch. Dabei dachte George W. Bush, er wäre unter Freunden. Albanien dürfte so ziemlich die letzte Bastion Europas sein, wo Georgie ein Bad in der Menge nehmen kann. Was er bei seinem Staatsbesuch letztes Jahr auch getan hat: Jubel, Händeschütteln, erfreute Gesichter. Und dann war seine Uhr weg.

Sie haben es im Fernsehen gezeigt, aber ich bin sicher, dass seine Uhr nicht viel wert gewesen ist: protestantisch vertrocknet wie der ist, hatte er garantiert nur einen billigen Wecker am Handgelenk. Egal, jetzt trägt seine Uhr ein anderer. Und ich lach immer noch über die Geschichte.

Ja, ja, so sind sie halt, die Albaner: arm, verschlagen, unehrlich. Nicht wahr? Oder etwa nicht?! Jetzt mal ganz ehrlich: Wissen Sie, wie die Albaner so sind? Nicht die Geschichten, die Sie irgendwo von irgendwem mal aufgeschnappt haben und die irgendwie jeder kennt. Und meistens auch die Kosovaren meinen. Ich meine die Albaner. In Albanien. Nicht die im Kosovo.

Grämen Sie sich nicht: kaum einer weiß, wie die Albaner so sind. Weil niemand Albanien kennt. Nicht mal geographisch. Bei einer spontanen kleinen Umfrage fand ich raus, dass die meisten Albanien irgendwo zwischen Afrika und Afghanistan vermuten. Dabei liegt es mitten in Europa. Nur, dass es niemand kennt. Ein blinder Fleck auf der Landkarte.

Ich habe sie kennen gelernt, die Albaner, und muss sagen, sie sind so einfach nicht zu greifen. Weil nicht so leicht auszumachen ist, wofür sie sich eigentlich wirklich interessieren. Denn vieles an ihnen wirkt widersprüchlich. Was vielleicht auch an ihrer Art liegen mag, wie sie mit Ausländern kommunizieren: nämlich gar nicht. Oder nur sehr wenig. Und das liegt nicht an ihrer Unfreundlichkeit, das sind sie nicht, sondern daran, dass sie sehr zurückhaltend sind. Fast schon schüchtern. Ein weiches Volk, das Direktheiten vermeidet.

Im Gegensatz zu uns Deutschen. Nach meiner ersten Lesung in Tirana sprach mich eine Dame an. Sie sagte: „Also, eigentlich war ich ja ziemlich gegen Sie eingestellt!“
Ich antwortete: „Tatsächlich?! Warum?“
„Nun, das lag an Ihrer Vita.“
„Meiner Vita?“
„Die Sie hier veröffentlicht haben.“
Ich überlegte fieberhaft, was sie damit meinte? Was stand denn in meiner Vita? Gesucht wegen falscher Grammatik, Vielweiberei und betrügerischem Viehhandel? Ich war ein wenig ratlos.
„Na, wo Sie schreiben, dass Sie ... wie war das jetzt? Na, wo Sie schreiben, dass Sie ohne Fleiß studiert haben ...“
„Ach, das meinen Sie!“ antworte ich erleichtert. „Da steht, dass ich mit wenig Fleiß und noch weniger Erfolg studiert habe.“
„Genau!“ sagte sie. „Das meine ich.“
„Und deswegen waren Sie gegen mich eingestellt?“
„Ja, ich fand das richtiggehend provozierend. So was kann man doch nicht schreiben!“
Ich zuckte mit den Schultern. „Warum nicht?“
Sie schüttelt den Kopf: „Das kann man nicht machen!“
„Es entspricht aber der Wahrheit.“
Sie ist empört: „Ja, aber es macht Ihnen doch etwas aus!“
„Nein, eigentlich nicht.“
Und noch ein bisschen empörter: „Natürlich macht Ihnen das was aus! Das spürt man doch!“
„Nein. Wirklich nicht.“
Sie glaubt mir nicht, aber sie schwenkt um und lächelt: „Naja, aber Sie haben dann wirklich schön gelesen.“
„Danke.“
„So mit den verstellten Stimmen. Das war wirklich gut.“
„Danke. Es wäre sicher noch besser gewesen, wenn ich mit Jörg gestern Nacht nicht noch dessen Schnapsbestände ausgetrunken hätte.“

Ich gebe zu, das kann man auch diplomatischer formulieren. Ein Albaner hätte es jedenfalls getan. Mal davon abgesehen, dass er diese Diskussion niemals angefangen hätte. Er hätte wohl überhaupt keine Diskussion angefangen, weil er ohne den sanften Druck der Universität oder des Deutschzentrums, dessen Leiter der oben erwähnte Jörg ist, gar nicht gekommen wäre.

Dabei interessieren sich die jungen Leute sehr für das Ausland. Das heißt aber noch lange nicht, dass sie auch zu einem Ausländer kommen, wenn der sie mal besucht. Außer bei George, natürlich. Denn der ist ein Freund. Und da sind sie alle gekommen und haben gejubelt.

Und haben gleich mal seine Uhr geklaut. Ach, ich liebe diese Geschichte.

Tirana, Tirana


Da gibt es ein Haus, mitten in Tirana, grau und wuchtig wie ein Turm, das hat keine Klingel und keinen Posteinwurf. Kein Erdgeschoss und keine Adresse. Kleine Fenster und ein massive Eisentür. Es ist bewohnt, aber die Bewohner verlassen dieses Haus nie. Es ist nicht schön, aber es blieb als einziges stehen, als Bürgermeister Edi Rama vor ein paar Jahren die vielen Buden und Häuschen an der Lana, dem kleinen Bächlein, das durch Tirana fließt, abreißen ließ, um Ordnung zu schaffen. Jeder kennt dieses Haus, aber es hat keinen Namen.

Architektur ist so eine Sache in Tirana. Vieles von den traditionellen Bauten ist nicht mehr da, weil es durch ausgesucht hässliche Hochhäuser ersetzt wurde, die vornehmlich der kommunistische Diktator Enver Hoxhas (gesprochen: Hodscha) bauen ließ und damit maßgeblich zu Tiranas Verschandelung beitrug.

Edi Rama hat in den letzten Jahren dafür gesorgt, dass sich das gebessert hat. Nicht nur, weil er die Favellas an der Lana abreißen ließ – mit Ausnahme des beschrieben Turms – sondern auch, weil er mit einem kleinen Trick große Wirkung erzielte: der ehemalige Künstler Rama ließ die hässlichsten Häuser einfach bunt anmalen.

Ansonsten herrscht so etwas wie Wilder Westen – besser noch: Wilder Südosten – im albanischen Baugewerbe, mit zum Teil skurillen Ergebnissen. Auf der Suche nach Bauland in der begehrten Innenstadt, sind die Bauunternehmen nicht sehr zimperlich. Da wird Bauland gefunden, wo man vorher gar keines vermutet hätte.

Wie zum Beispiel eine Straße. Da ist doch schön viel Platz! Warum also nicht ein Haus draufbauen? Was soll ich sagen: Sie haben es gemacht. Und nicht nur einmal. Ein Hochhaus. Mitten auf einer Durchgangsstrasse. Die jetzt natürlich eine Sackgasse ist. Von beiden Seiten.

Auch Baupläne sind eher so etwas wie vage Absichtserklärungen. Da steht ein Bauamtsleiter schon mal vor einem zehnstöckigen Haus und stiert ungläubig auf den genehmigten Plan, der nur vier Stockwerke ausweist.
Ha, ich kann den Polier geradezu vor mir stehen sehen, wie er sich ein bisschen verlegen am Kopf kratzt und sagt: „Nun, wir waren gerade so gut drauf und hatten auch noch Material über und, äh ...“

Früher war es übrigens üblich, dem Bau ein lebendes Opfer zu bringen. Heute beschränkt man sich auf Teddys. Die werden im Rohbau auf Stahlgitter gespießt und sollen böse Geister abhalten. Wenn Sie mich fragen sieht es eher so aus, als wären die bösen Geister schon da.

Die größte Geschmacksverirrung jedoch steht im Stadtzentrum und geht wieder auf Hoxhas Konto: eine Pyramide. Sie sollte sein Mausoleum werden. Bemisst man den Dachschaden von Diktatoren an ihren baulichen Hinterlassenschaften, so wird hier überdeutlich, mit wem es die Albaner vier Jahrzehnte lang zu tun hatten: einem größenwahnsinnigen Spinner. Paranoid dazu, weil er das kleine Land mit etwa 600.000 Bunkern hat pflastern lassen. An strategisch wichtigen Stellen, versteht sich. Was für Albanien bedeutet: alle paar Meter.

Bleibt noch das graue Haus an der Lana. Das Vendetta-Haus. Denn dort sitzen die zum Tode Verurteilten. Nicht durch den Staat, sondern durch verfeindete Clans. Solange sie in diesem Haus bleiben, dürfen sie weiterleben. Verlassen sie es jedoch ... Lebenslänglich der etwas anderen Art. Das Haus ist Teil von Albaniens Kultur, steht in Tiranas Zentrum vor aller Augen und doch steht es allein da. Isoliert. Wenn man Albaner dazu befragt, zucken sie mit den Schultern: niemand weiß darüber genaues. Und es interessiert sie auch nicht. Dennoch ist es da. Ein zu Stein mutierter Anachronismus.

Ich frage mich, wie es in dem Haus aussieht? Wie viele mögen darin leben? Und wie gehen sie miteinander um, wenn sie dort Tür an Tür wohnen? Vielleicht kommen sie gut miteinander aus. Ein gemeinsames Schicksal schweißt Menschen oft zusammen. Vielleicht werden sie mit den Jahren sogar zu Freunden. Während sich ihre Familiemitglieder draußen weiterhin hassen. Unüberwindbarer Hass.

Und nicht mal Edi Ramas Farbe kann das übertünchen.

Achtung! Küssen.


Zuweilen fragt man sich, aus welchen Gründen die Insassen im Vendetta-Haus ihre Strafe absitzen müssen. Es geht oft um Mord, doch die Gründe, die zu einem führen, sind meist weniger gewichtig und in den Augen eines Westeuropäers ohnehin schwer nachzuvollziehen: Ehrverletzung.

Doch welche Art von Ehrverletzung? Albanien ist ein religiöser Vielvölkerstaat: Muslime, Katholiken, Orthodoxe und eine ganze Reihe von Splittergruppen. Doch in Albanien herrscht gegenüber den Religionen große Toleranz. Jeder kann mit jedem und tut es auch. Die Gläubigen leben friedlich miteinander.

Was hätten wir noch im Angebot bei klassischen Ehrverletzungen? Richtig: Lästerlicher Lebenswandel. Auch schlecht. Albaner gehen grundsätzlich gerne aus. In Tirana herrscht eine Kneipen-, Bar-, und Cafédichte, wie sie vielleicht noch in Köln üblich ist. In jedem Fall aber ihresgleichen sucht. Und obwohl im Land 40 Prozent Arbeitslosigkeit herrscht, investieren die Albaner ihr bisschen Geld für einen Kaffee oder einen Drink an der Bar.

Im krassen Gegensatz zu uns Deutschen, wo Arbeitslosigkeit in aller Regelmäßigkeit zur selbstgewählten Vereinsamung vor dem Fernseher führt. So als ob man ohne Arbeit nicht mehr gesellschaftsfähig wäre. Es wird geraucht und Alkohol getrunken. Gute Gründe, um jemanden einen lästerlichen Lebenswandel anzukreiden. Wird aber nicht gemacht. Denn sonst müssten sie viele, viele Vendetta-Häuser an der Lana bauen.

Gerne genommen: weibliche Unschuld. Vielmehr der Verlust der selbigen. Und sei es auch nur als Schreckenszenario eifersüchtiger Männer. Doch auch hier eher Fehlanzeige. Die albanische Jugend ist sehr attraktiv und zeigt das auch. Die Kleidung vor allem bei Mädchen ist knapp, verdammt knapp möchte ich sagen, hohe Hacken beinahe Pflicht. Die jungen Leute begegnen sich unverkrampft, im gegenseitigen Wohlgefallen.

Aber Konventionen gibt es doch: öffentliche Zärtlichkeiten sieht man nicht. Und es gibt Bars für Verheiratete, in denen es Kuschelräume gibt, wo das Licht schummrig ist und wo man Achtung! küssen kann. Also doch: keusche Unschuld im knappen Top?

Könnte man meinen. Wäre da letzte Woche nicht dieser Unfall gewesen. Es hat den Chef eines privaten Fernsehsenders erwischt. Hat seinen neuen Ferrari spazieren gefahren.

Jetzt ist das sehr bedauerlich, aber noch keine Meldung, die die Albaner hat aufhorchen lassen. Schon eher, dass neben ihm sein Freundin saß. Nackt. Jetzt kennt man das ja mit italienischen Autos: sicher ist die Klimaanlage ausgefallen und in einem engen Auto wie einem Ferrari kann es da schon mal warm werden. Gute Gründe ein bisschen was auszuziehen. Man will ja nicht die teuren Klamotten durchschwitzen.

Kurz darauf müssen dann auch die Bremsen ausgefallen sein. Und so endete die fahrt an einem Baum an der Lana. So sind sie dann gefunden worden, was in Tirana für einen handfesten Skandal gesorgt hat, schließlich war der Mann verheiratet. Aber wenn man den Albanern so in die Gesichter sieht, wenn sie über den Unfall reden, sieht man immer ein Lächeln. Nicht schadenfreudig, eher ein Kichern über eine Nummer, die – ziehen wir das persönliche Drama mal ab – durchaus komisches Potential hat.

Was fährt der Mann auch Ferrari? Selbst die Amerikaner spotten über Fiat, sagen, es wäre die Abkürzung für: Fix it again Toni. Ausgerechnet die Amerikaner. Als ob die Autos bauen könnten.

Weißes Huhn, schwarzes Huhn


Albaner sind eigenwillig. Über 400 Jahre haben die Osmanen das Land besetzt, dennoch blieb nicht viel von ihnen zurück. Und nicht nur, weil Hoxha alles abreißen ließ. Auch in den Köpfen blieb nichts. Sie sind vor allem das, was sie schon immer waren: Albaner.

Sie interessieren sich in erster Linie für sich selbst, sind aber nicht nationalistisch. Sie sind stolz auf ihre Vergangenheit, aber wenn man etwas darüber wissen will, fragt man besser einen Ausländer, denn die Albaner selbst gehen nicht sehr sorgfältig mit ihrer Historie um.

Selbst ihre Sprache klingt eigenwillig. Ich habe versucht mir was einzuprägen, aber viel habe ich nicht geschafft. Eigentlich nur: O Çuni (sprich: dschuni) und heißt so viel wie: He, Junge! Sagt man, wenn man hier einen (jungen) Kellner ruft. Jörg sagt, dass die Albanern mit vergleichsweise wenigen Worten auskommen. Als Ausländer kann ich das nicht beurteilen, aber da gibt es eine Sache, die mich ein bisschen fassungslos gemacht hat.

Jetzt ist Albanien ja ein ausgeprägter Küstenstaat, aber sie haben kein eigenes Wort für Möwe. Seit der offiziellen Reichsgründung vor gut 700 Jahren müsste sich eigentlich die eine oder andere Möwe nach Albanien verirrt haben. Jedenfalls Zeit genug, ihr einen eigenen Namen zu geben. Aber irgendwie haben die Albaner das nicht hingekriegt.

Ich stelle mir vor, wie die ersten Albaner an der Küste saßen und den Möwen beim Segeln zusahen. Und vielleicht hat einer gesagt: „Oh, was für ein hübscher Vogel!“
„Hm.“
„Wir sollten ihm einen Namen geben.“
„Hm.“
Pause.
Sie sehen den Möwen zu und denken über einen Namen nach. Plötzlich sagt einer: „Sieht aus wie ein weißes Huhn.“
„Hm.“
Pause.
Dann dreht sich der Clanchef um und fragt: „Wer ist für weißes Huhn?“

Seitdem heißen sie weiße Hühner. Und ihre Flügel heißen Arme. Ich frage mich gerade, was wäre wenn der amerikanische Romancier Richard Bach ein Albaner gewesen wäre? Wie hätte dann sein berühmtestes Buch geheißen: Das weiße Huhn Jonathan? Amüsanter Gedanke. Ein Huhn, das sich in ehrgeiziger Rekordjagd im Sturzflug ins Meer stürzt ...

Sind sie so, die Albaner? Eher praktisch veranlagt? Um nicht zu sagen: lethargisch? Dafür spräche einiges. Sie produzieren nichts selbst, lassen alles importieren. Auch das ist Grund für die dramatische Arbeitslosigkeit. Es ist, als ob sie sich nicht trauen würden, eigene Produkte zu entwickeln und auf den Markt zu bringen. Oder haben sie vielleicht einfach keine Lust? Sind sie auf dem Weg nach Europa, warten aber auf ein Taxi, dass sie dorthin bringt?

Wie gefällt ihnen dann folgende Geschichte. Eine wahre dazu. Die Albaner waren wohl das einzige Volk, das sich geweigert hat, Juden an Nazideutschland auszuliefern. Sie fanden das schlicht unanständig. Also haben sie es nicht gemacht. Das lässt das larmoyante Gewäsch der Alten, an den Deportationen eigentlich keine Schuld gehabt zu haben, weil die Gefahr für das eigene Leben so groß war, in einem ganz anderen Licht dastehen. War die Gefahr für die Albaner nicht dieselbe wie für alle anderen?

Ein Zufallstreffer? Nein. Vor gut zehn Jahren hat der damalige Staatspräsident Berisha sein Volk mit einem Pyramidenspiel ruiniert. Und damit meine ich: alle ruiniert. Es gab – ganz gegen die sonstige albanische Mentalität – Unruhen, worauf Berisha dem Militär den Befehl gab, auf das Volk zu schießen.

Das Militär jedoch verweigerte den Befehl. Hat man das schon mal gehört? Ein Militär, der einen Schießbefehl verweigert? Militärs verweigern nie Schießbefehle, wohl aber immer die Verantwortung danach. Ein beeindruckendes Volk. Wenn es darauf ankommt, wenn es wirklich wichtig ist, treffen sie die richtigen Entscheidungen. Obwohl ... sie haben Berisha wiedergewählt. Er ist schon wieder Staatspräsident. Nicht zu fassen.

War denn sonst keiner da? Oder verhält es sich wie mit der Möwe? Man müsste etwas Neues erfinden, um die Dinge zu ordnen. Man könnte es natürlich auch beim Alten belassen.

Wenn ja, dann wüsste ich einen Namen für ihren Präsidenten: schwarzes Huhn. Also, nur so ein Gedanke.

O Çuni!


Festnetzanschlüsse sind nicht sehr populär in Albanien. Jeder hat ein Handy. Auch die Ärmsten haben eines. Mindestens eines. Das hat nicht nur damit zu tun, dass sie viel ausgehen, die Albaner, sondern wie so oft vor allem praktische Gründe: keiner hat Lust, in einem Fahrstuhl stecken zu bleiben und dann ist da niemand, der einem hilft, denn Alarmknöpfe gibt es nicht.

Jetzt ist es so, dass Aufzüge in Albanien auch nicht schlechter gebaut werden als in Deutschland. Nur dass sie – wie alle Aufzüge – mit Strom betrieben werden. Und der wird in Albanien Stadtviertelweise abgeschaltet. Meist über Stunden. Jörg vermutet, dass es eine heimlich Liste der abzuschaltenden Stadtviertel gibt, und dass es Viertel gibt, die weniger häufig abgeschaltet werden. Vor allem da, wo Politiker wohnen. Aber grundsätzlich trifft es jeden. Und wenn du dann im Fahrstuhl sitzt, hast du nichts mehr zu lachen.

Das gehört zu den Eigentümlichkeiten dieses Landes, mit denen man leben muss. Eine andere ist der Verkehr. Zwei Sachen fallen auf. Erstens: es gibt eine auffallende Vielzahl von Mercedes Benz. Ich würde schätzen: jedes dritte Auto. Jörg sagt, vor fünf Jahren waren es sogar 90 Prozent aller Autos. Wie passt das nur zu der hohen Arbeitslosigkeit und der Armut, vor allem auf dem Land?

Die neuen, sehr teuren Mercedes lassen sich erklären: entweder Mafia oder reiche Familien. Die vielen anderen auch, wenn man erst mal die albanische Mentalität begriffen hat. Und das heißt: die meisten Mechaniker können nur Mercedes. Und wenn keiner da ist, der einen Ford oder einen Nissan reparieren kann, dann kauft man eben einen Mercedes. Wenn sie so wollen, finden sie das Prinzip Möwe überall.

Zweitens: stehen Autos an einer Kreuzung und wollen abbiegen, biegen grundsätzlich alle auf einmal ab. Man einigt sich dann im Scheitelpunkt der Kurve. Das erspart einem auch Verkehrsregeln. Ulkigerweise passieren dabei so gut wie nie Unfälle, denn jeder achtet auf den anderen und besteht auch nicht darauf, als erstes abzubiegen. Da aber niemand darauf besteht als erstes abzubiegen, fragt man sich, warum sie es dann alle gleichzeitig wollen ... aber, was soll´s, man muss nicht alles verstehen.

An der Uni in Elbasan begegnet mir ein junger Mann, der wie ein freundlicher Partisane aussieht und Gerd heißt. Ein deutscher Name im krassen Widerspruch zur dunklen Haut und dem welligem pechschwarzen Haar. Ich frage Jörg, ob er deutsche Vorfahren hat? Er schüttelt den Kopf und lächelt: „Gerd Müller war hier in den 70ern sehr populär. Die Albaner sind fußballverrückt. Es gibt hier auch ein paar Kinder, die Briegel heißen.“

Oh, Gott: Hans-Peter Briegel. Oder wie wir Fußballfachleute sagen: Die Walz aus der Pfalz. Der war hier Nationaltrainer. Das arme Schwein, dass jetzt seinen Namen tragen muss! Ich hoffe nur, dass es kein Mädchen ist ...

Aber, was sind die Albaner denn nun? Sie sind religiös, aber nicht fundamentalistisch. Sie sind schüchtern, aber selbstbewusst. Sie lieben Amerika, aber beklauen deren Präsidenten. Sie sind modern, aber da steht auch dieses Vendettahaus. Sie sind stolz, aber nicht nationalistisch. Sie haben einen Gauner zum Präsidenten, treffen aber, wenn es wirklich drauf ankommt, die richtigen Entscheidungen. Die Häuser sind verfallen, aber die Toiletten in jeder noch so kleinen Spelunke geradezu penibel sauber und gepflegt.

Ich habe mir ein T-Shirt mit dem Wappen der Albaner gekauft: einen Doppelkopfadler. Ich bin sicher, dass ich dann und wann darauf angesprochen werde, weil man mich für einen Eintracht Frankfurt Fan halten wird. Dann aber werde ich sagen: „O Çuni, das ist nicht Frankfurt. Das ist Albanien!“