Freitag, 13. Juni 2008

O Çuni!


Festnetzanschlüsse sind nicht sehr populär in Albanien. Jeder hat ein Handy. Auch die Ärmsten haben eines. Mindestens eines. Das hat nicht nur damit zu tun, dass sie viel ausgehen, die Albaner, sondern wie so oft vor allem praktische Gründe: keiner hat Lust, in einem Fahrstuhl stecken zu bleiben und dann ist da niemand, der einem hilft, denn Alarmknöpfe gibt es nicht.

Jetzt ist es so, dass Aufzüge in Albanien auch nicht schlechter gebaut werden als in Deutschland. Nur dass sie – wie alle Aufzüge – mit Strom betrieben werden. Und der wird in Albanien Stadtviertelweise abgeschaltet. Meist über Stunden. Jörg vermutet, dass es eine heimlich Liste der abzuschaltenden Stadtviertel gibt, und dass es Viertel gibt, die weniger häufig abgeschaltet werden. Vor allem da, wo Politiker wohnen. Aber grundsätzlich trifft es jeden. Und wenn du dann im Fahrstuhl sitzt, hast du nichts mehr zu lachen.

Das gehört zu den Eigentümlichkeiten dieses Landes, mit denen man leben muss. Eine andere ist der Verkehr. Zwei Sachen fallen auf. Erstens: es gibt eine auffallende Vielzahl von Mercedes Benz. Ich würde schätzen: jedes dritte Auto. Jörg sagt, vor fünf Jahren waren es sogar 90 Prozent aller Autos. Wie passt das nur zu der hohen Arbeitslosigkeit und der Armut, vor allem auf dem Land?

Die neuen, sehr teuren Mercedes lassen sich erklären: entweder Mafia oder reiche Familien. Die vielen anderen auch, wenn man erst mal die albanische Mentalität begriffen hat. Und das heißt: die meisten Mechaniker können nur Mercedes. Und wenn keiner da ist, der einen Ford oder einen Nissan reparieren kann, dann kauft man eben einen Mercedes. Wenn sie so wollen, finden sie das Prinzip Möwe überall.

Zweitens: stehen Autos an einer Kreuzung und wollen abbiegen, biegen grundsätzlich alle auf einmal ab. Man einigt sich dann im Scheitelpunkt der Kurve. Das erspart einem auch Verkehrsregeln. Ulkigerweise passieren dabei so gut wie nie Unfälle, denn jeder achtet auf den anderen und besteht auch nicht darauf, als erstes abzubiegen. Da aber niemand darauf besteht als erstes abzubiegen, fragt man sich, warum sie es dann alle gleichzeitig wollen ... aber, was soll´s, man muss nicht alles verstehen.

An der Uni in Elbasan begegnet mir ein junger Mann, der wie ein freundlicher Partisane aussieht und Gerd heißt. Ein deutscher Name im krassen Widerspruch zur dunklen Haut und dem welligem pechschwarzen Haar. Ich frage Jörg, ob er deutsche Vorfahren hat? Er schüttelt den Kopf und lächelt: „Gerd Müller war hier in den 70ern sehr populär. Die Albaner sind fußballverrückt. Es gibt hier auch ein paar Kinder, die Briegel heißen.“

Oh, Gott: Hans-Peter Briegel. Oder wie wir Fußballfachleute sagen: Die Walz aus der Pfalz. Der war hier Nationaltrainer. Das arme Schwein, dass jetzt seinen Namen tragen muss! Ich hoffe nur, dass es kein Mädchen ist ...

Aber, was sind die Albaner denn nun? Sie sind religiös, aber nicht fundamentalistisch. Sie sind schüchtern, aber selbstbewusst. Sie lieben Amerika, aber beklauen deren Präsidenten. Sie sind modern, aber da steht auch dieses Vendettahaus. Sie sind stolz, aber nicht nationalistisch. Sie haben einen Gauner zum Präsidenten, treffen aber, wenn es wirklich drauf ankommt, die richtigen Entscheidungen. Die Häuser sind verfallen, aber die Toiletten in jeder noch so kleinen Spelunke geradezu penibel sauber und gepflegt.

Ich habe mir ein T-Shirt mit dem Wappen der Albaner gekauft: einen Doppelkopfadler. Ich bin sicher, dass ich dann und wann darauf angesprochen werde, weil man mich für einen Eintracht Frankfurt Fan halten wird. Dann aber werde ich sagen: „O Çuni, das ist nicht Frankfurt. Das ist Albanien!“

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