Freitag, 25. April 2008

Kanonenmeteorologen am Jangtsekiang



Während die Welt nach Tibet blickt und dabei die Stirn runzelt, während die Jugend der Welt ihre Körper stählt und gen Peking strebt, um Edelmetall und Ruhm zu ernten, plagen sich die dort ansässigen chinesischen Menschen mit ganz anderen Sorgen. Nein, damit ist nicht die Ausmerzung von Chinglish gemeint, dem bezaubernden Mischmasch aus Chinesisch und Englisch – als Beispiel sei hier ein Klassiker genannt, nämlich die Warnung vor dem glatten Untergrund: "Take care of your slip!"
Nein, nein, nicht nur um derartige Dinge geht es, sondern um wirklich ernste. Zumindest, wenn wir nach Luoyang blicken, einem Ort in der Provinz Henan. Dort leidet man unter der großen Zahl lästiger Fliegen, die noch größer ist als die Zahl der Chinesen. Und das will ja bekanntlich etwas heißen.
In Luoyang hat sich die örtliche Verwaltung entschlossen, das Problem anzupacken, indem sie ein Bürgerkomitee gewähren lässt. Dieses Komitee bietet jedem 5 Yuan, also rund 40 Cents, der zehn tote Fliegen vorweist. Seither ziehen Horden fliegenmordender Einwohner durch den Ort und versuchen, ihr Einkommen aufzubessern. Immerhin: In den ersten zwei Stunden der Kampagne musste das Komitee bereits eine deutliche Summe locker machen, denn mehr als 2000 Fliegenleichen wurden angeliefert, und das macht nach Adam Riese – oder hier besser: nach Liu Hui – mehr als 1000 Yuan. Aus der Ferne betrachtet stellt sich die Gesamtsituation für die Fliegenpopulation rund um Luoyang nicht sehr rosig dar.
Apropos aus der Ferne.
Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, aber ich persönlich hege inzwischen eine kernige Abneigung gegen Kochsendungen im Fernsehen. Nicht etwa, weil ich sie langweilig oder schlecht gemacht fände; nein, sondern weil alle anderen diese organisierte Speisenvernichtung offenbar gut finden, während ich nicht verstehe, warum ich anderen Menschen beim Kochen oder gar beim Essen zusehen sollte.
Nun höre ich hin und wieder, dass man da etwas lernen kann und dass einem das im Leben hilft. Und damit kommen wir wieder nach China. In der Gegend von Cangxian stand eine Hausfrau am Herd, um das Abendessen zuzubereiten – und zwar ohne Fernsehkamera. Dabei wurde sie von einer Kanonenkugel verletzt.
Zurücklesen nutzt übrigens nichts. Da stand eben wirklich: Kanonenkugel. Wie es dazu kommen konnte? Ich meine: das mit dem Kochen unter Beschuss? Nun, sicher ist, dass die Kanonenkugel durch das Dach des kleinen Hauses in die Küche eindrang und die Frau am Bein verletzte. Wenn irgendwo in der Nähe ein Krieg ausgebrochen wäre, hätte man dieses Phänomen sicher schneller durchschaut. Aber Cangxian ist nicht Tibet – keine Schießereien weit und breit.
Verblüffenderweise wurden die Schuldigen recht flott gefunden: Eine Gruppe örtlicher Meteorologen. Ja, richtig: Meteorologen. Hier bei uns macht sich diese Berufsgruppe höchstens dadurch unbeliebt, dass sie so tut, als könne sie das Wetter vorhersagen. In Cangxian allerdings gingen die Wetterfrösche weiter: Sie feuerten aus Kanonen auf Wolken, um diese zu Abregnen zu bewegen.
Zugegeben: Das klingt zunächst ein wenig wirr. Nun haben Forscher allerdings kürzlich herausgefunden, dass entlang viel befahrener Schifffahrtsrouten sehr viel Schwefeldioxid in der Luft ist. Immerhin enthält Schiffstreibstoff 2700 mal so viel Schwefel wie Autobenzin. Dadurch kondensiert das Wasser anders; die Wolken können mehr und länger Wasser halten, aber wenn sie dann abregnen, gehts auf einen Schwung, so als würde man einen riesigen Wassereimer umkippen. Auch solche Wolken werden gerne mal durch die Erzeugung von künstlichen Kristallisationskeimen zum Abregnen gebracht, und zwar dann, wenn gerade keiner in der Nähe ist, der komplett nass werden könnte. Das funktioniert unter anderem auch dadurch, dass man Projektile in die Wolke feuert.
So weit, so gut. Aber was ist dann in China schief gelaufen? Vermutlich hat irgendein junger unerfahrener Ingenieur die Nerven verloren. Weil die Wetterkanone nahe dem Wohngebiet abgefeuert werden sollte, hatte der alte Meteorologenmeister eine Spezialkanone konstruieren lassen: Unten im Rohr gab es eine starke Feder, und wenn man die Kugel genau senkrecht nach oben abfeuerte, konnte sie nach der Aktivierung der Wolke wieder zurück ins Rohr fallen. Sie war damit geeignet zum Abfeuern in belebten Gebieten. Aber der junge Ingenieur, wie gesagt: Kurz vor dem Schuss befielen ihn nagende Zweifel – und ein ganz klein wenig Angst war auch dabei. Als niemand hinsah, tippte er mit dem Zeigefinger kurz an das senkrecht nach oben zeigende Rohr, um es ein wenig zu neigen und dafür zu sorgen, dass die Kugel möglichst weit von ihm entfernt einschlage. Wir kennen das Resultat bereits.
Vielleicht hätten sich die Meteorologen besser in Luoyang gemeldet und mit ihrer Kanone Fliegen totgeschossen. Dann hätten sie auch noch Geld dafür kassiert.

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© Julius Moll

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