Sonntag, 28. Oktober 2007

Pecunia olet.


Fremde Länder, fremde Sitten: ein Axiom für Weltreisende, Abenteurer, Wissbegierige, Empörte und Arrogante. Aber wir wollen es nicht klein reden. Natürlich ist es spannend, wie sich die Kulturen rings um die Welt entwickelt haben. Denken wir beispielsweise mal ans Essen, und zwar nicht nur deshalb, weil zurzeit im Fernsehen ausschließlich gekocht wird. Dass wir bis an die Zähne bewaffnet sind, wenn wir uns an den Tisch setzen, mit kleinen vierzackigen Hellebarden und Messern aus Metall, hat sich als Prinzip in vielen asiatischen Ländern nicht durchgesetzt. Dort ist man als Gastgeber froh, dass die Gäste den Speisen mit hölzernen Stäbchen zusprechen, und macht sich daher auch gerne die Mühe, das Essen vorher in mundgerechte Stücke zu zerteilen – eine Art Service zum Selbstschutz.
Bei Besitz, Geld und Macht allerdings verschwimmen die kulturellen Unterschiede schon eher. Und die Ideen, wie man seine eigene ökonomische Situation möglichst günstig gestaltet, ähneln sich daher. Das Grundübel besteht ja zweifellos darin, dass man sich sein Geld nicht selber herstellen darf. Das ist zwar rational begründbar, weil es einen Gegenwert für die umlaufenden Zahlungsmittel geben muss. Sonst wären sie selber nichts wert. Und so gibt es im Idealfall eine relativ stabile Gesamtgeldmenge, die irgendetwas Realem gegengerechnet werden kann, im Falle des Dollars beispielsweise dem Gold in Fort Knox und im Federal Reserve Depository in New York. Und so sinnvoll diese volkswirtschaftliche Konstruktion auch sein mag, hat sie doch einen Nachteil: Wenn jemand sein eigenes Geld vermehrt, muss es gleichzeitig jemanden geben, dessen Vermögen dadurch verringert wird.
Es wird daher auch kein Zufall sein, dass das lateinische Verb privare auf deutsch rauben heißt. Ein kleiner Schritt für einen sorgfältig gebildeten Menschen, daraus zu schließen, dass Privateigentum zu Stande kommt, indem der Eigentümer die Gemeinschaft beraubt. Und dass man den Spieß auch umdrehen kann, falls sich die eigene Liquidität einem untolerierbar niedrigen Wert nähert.
Und genau auf diesem Pfad der intellektuellen Untugend wandelten auch zwei Studenten in der chinesischen Stadt Chongqing. Da sie die Schwierigkeiten bei der Finanzierung ihres Lebensunterhalts als schwerwiegend einstuften, entschlossen sie sich zum Handeln. Sie stahlen ein Fahrrad und unternahmen damit ihre Beutezüge, indem sie in der dicht bevölkerten Innenstadt an Passanten vorbeifuhren, einer auf dem Sattel, einer auf dem Gepäckträger, und ihren Mitbürgern leichtfertig mitgeführte Taschen und Pakete entrissen und damit flohen.
Irgendwann muss den Räubern aufgegangen sein, dass zufallsmäßiger Raub nicht immer zu befriedigenden Ergebnissen führt. So beklagten die Beraubten etwa den Verlust von einem rohen Fisch, gerade auf dem Markt gekauft, von einer Papiertüte mit einigen Haarspangen, von einem Beutel mit schmutziger Unterwäsche sowie von einer in Leder eingeschlagenen Katzenleiche, die der trauernde Besitzer eigentlich am Rande eines städtischen Parks beisetzen wollte.
Die beiden Verbrecherhirne taten daher das einzig Logische: Sie änderten ihre Taktik und nahmen sich vor, bei der Auswahl ihrer Opfer selektiver vorzugehen. So lauerten sie mit ihrem Fahrrad an der Ecke einer Sparkasse, in der keineswegs so falschen Annahme, dass Menschen, die aus der Bank heraustraten, durchaus größere Geldbeträge mit sich führen könnten.
So war also die Situation, als Li Ming aus der Bank auf die Straße trat. Die alte Dame war in Begleitung ihres Hundes Changchang, einem gepflegten Pekinesen, und trug am Arm eine große Handtasche. Der Anblick dieser Handtasche befeuerte die Fantasie der Fahrradgangster derart, dass sie wie vom Katapult geschossen auf die Ärmste zuradelten. Der Handlanger auf dem Gepäckträger fischte mit hundertmal geübter Bewegung das größte Paket aus der Tasche, und nach einem Wimpernschlag waren die Meisterdiebe verschwunden.
Wer nun denkt, Frau Li Ming wäre lamentierend und in Tränen aufgelöst auf dem Bürgersteig in sich zusammengesunken, der irrt. Ganz im Gegenteil: Auf ihrem Gesicht machte sich große Freude breit, und bald begannen auch die umstehenden Passanten, sich gegenseitig erheitert in die Arme zu fallen, um sich beim Lachen zu unterstützen.
Was die Fahrraddiebe nämlich nicht wussten: Als Frau Li am Bankschalter in der Reihe wartete, hatte sich Changchang, der Pekinese, nur angekündigt durch ein überstürztes kurzes Bellen, seines Stuhlgangs entledigt. Um den Zorn der anderen Bankkunden zu mildern, hatte sich Frau Li von einem Bankangestellten einige Blätter der Tageszeitung erbeten, um den Hundekot damit aufnehmen und entsorgen zu können. Allerdings hatte der Angestellte darauf hingewiesen, dass er es keineswegs dulden könne, wenn sie das olfaktorisch bedenkliche Gebinde in einem Papierkorb innerhalb der Bank deponiere. So hatte Frau Li das Paket in ihre Handtasche gelegt, um es bei der erstbesten Gelegenheit draußen loszuwerden.
Inzwischen wissen sicher auch die beiden Raubstudenten, dass die Weisheit "Pecunia non olet – Geld stinkt nicht" in speziellen Fällen keine Gültigkeit mehr hat.

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©2007 Julius Moll

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