Mittwoch, 21. November 2007

Westfalenbrauen


Neulich las ich in der Zeitung von einem wirklich schrägen Fall irgendwo in einem Dörfchen im tiefsten Westfalen. Es ging um Liebe, Sex und Leidenschaften, was man in Westfalen gar nicht vermuten würde, und um Pfannkuchen, Tresorknacker und einen sehr alten Teppich, in dem ein unglücklicher Ehemann eine ziemlich unfreiwillige Reise gemacht hat.

Aber der Reihe nach. Ich lese also von einer gewissen Justine, einer durchschnittlichen Hausfrau in einem durchschnittlichen Haus, mit durchschnittlichen Kindern, einem durchschnittlichen Garten und einer durchschnittlich gut funktionierenden Ehe. Bis Franz-Otto in ihr Leben tritt.

Da ist es vorbei mit Justines Durchschnittlichkeit, und sie entflammt derart für Franz-Otto, dass sie bereit ist, alles stehen und liegen zu lassen, um mit ihm durchzubrennen. Franz-Otto, ein Freund der Familie, empfindet nicht minder viel für Justine, doch da ist Eugen, Justines Ehemann und Franz-Ottos Freund. Und der ist dummerweise überdurchschnittlich wertkonservativ: eine Scheidung käme für ihn gar nicht in Frage.

Justine, jetzt vor lauter Lust ganz von Sinnen, schmiedet einen teuflischen Plan: Sie will ihren Mann vergiften. Und so beschließt sie, Eugen eine Freude zu machen und ihm sein Lieblingsessen zu bereiten: Pfannkuchen. Doch dieser Pfannkuchen hat es in sich: Ein starkes Beruhigungsmittel soll Eugen das Lebenslichtlein auspusten.

Doch Eugen ist viel zäher, als Justine es für möglich gehalten hätte: Der wuchtige, über 100 Kilo schwere Stahlarbeiter wird gerade mal etwas schläfrig von dem Pfannkuchen, was Justine geradezu verzweifeln lässt. Ratlos benachrichtigt sie ihren Liebhaber Franz-Otto. Wie der Zufall so spielt, schaut der nach dem Essen herein und lädt Eugen zu einer Spazierfahrt ein. Wäre Eugen Mafioso gewesen, hätten hier spätestens die Alarmglocken schrillen müssen, aber Eugen ist Westfale, und so eine Spazierfahrt durch das schöne Westfalen nach einem fetten Mahl ... das hat doch was.

Vom schönen Westfallen sieht Eugen jedoch nicht viel: In einer stillen Ecke erschießt ihn sein Freund Franz-Otto. Da der nicht so recht weiß, wo er die Leiche verschwinden lassen soll, rollt er sie in einen alten Teppich und verstaut sie im Lieferwagen eines Freundes. Am nächsten Tag will er Eugen dann in aller Ruhe verschwinden lassen.

Als Franz-Otto den Transporter am nächsten Morgen aufsucht, trifft ihn fast der Schlag: Die Kiste ist weg. Was uns zu einer Bande rumänischer Panzerknacker bringt, die mit dem Transporter einige Tage durch die Gegend kutschieren, ohne zu wissen, dass in dem alten Teppich der tote Eugen eingewickelt ist.

Im Nachbarort steigen die Diebe in die örtliche Post ein, klauen den Tresor und fahren damit zu einem einsam gelegenen Sportheim, um ihn dort in aller Ruhe aufzuschweißen. Der Transporter nebst Teppich und Leiche bleiben zurück.

Für die örtliche Polizei, die den Transporter und den aufgeschweißten Tresor finden, eine klare Sache: Einbruch mit einem geklauten Auto. Also Wagen sicherstellen und ab ins Wochenende: Die Spurensicherung erledigt den Rest. Am Montag, versteht sich. Der Stress frisst einen ja sonst auf.

Justine indessen meldet ihren Mann als vermisst, und bekommt Montag morgen prompt einen Anruf. Ihr Mann ist aufgetaucht, unglücklicherweise nicht mehr am Leben ... eingerollt in einen Teppich ... gefunden in einem Lieferwagen ... in der Polizeigarage.

Eugen wird endlich ordnungsgemäß beerdigt. Doch diesmal geht die Polizei nicht ins Wochenende und kommt dem Liebespaar rasch auf die Schliche: Franz-Otto hält dem Druck nicht Stand und gesteht. Und Justine gleich mit. Gerüchteweise haben Franz-Ottos Augenbrauen die Kripo auf die Spur gebracht. Der hatte seinen Opel, in dem er Eugen erschossen hatte, in Brand gesteckt, um Spuren zu verwischen. Und dabei ein bisschen nahe dran gestanden.

Donnerstag, 15. November 2007

Erik, der Zeitreisende


Keine Ahnung, was mich hat aufmerksam werden lassen. Ich meine, sind wir doch mal ehrlich: Wer beachtet schon einen Penner? Auch wenn er immer am selben Platz sitzt. Und normalerweise rück ich auch keine Kohle raus, weil ich der Meinung bin, er könnte genauso gut was tun für seine Kohle, statt einfach die Hand aufzuhalten: schlecht singen, zum Beispiel. Oder schlecht Triangel spielen. Oder schlecht bauchrednern.

Was an jenem Morgen anders war ...? Vielleicht das Geklimper von sehr kleinem Kleingeld in meiner Hosentasche. Mich nervt das. Die Finger riechen nach dreckigem Metall, und kaufen kann man davon auch nichts. Ich hab mal drüber nachgedacht, damit die Enten zu füttern und es Kunst zu nennen, aber das Konzept kam in der Öffentlichkeit nicht gut an. Sonst finden die jeden Scheiß innovativ, aber versenk mal eine fette Ente ... da ist was los!

Jedenfalls hab ich ihm mein klitzekleines Kleingeld gegeben. Gegen meine Prinzipien. Einfach so. Und er sagt: „Danke, Andreas.“
Und ich sage: „Schon gut, Mann.“

Während ich weitergehe, arbeitet es in mir. Kennen Sie die Sekunde, kurz bevor man auf eine Sache kommt? So, als ob man seinem Marmeladenbrot hinterher schaut, das einem gerade aus der Hand gefallen ist. Dann macht es Flatsch und man weiß es: wieso kennt der meinen Namen? Also gehe ich wieder zurück und frage ihn.
Er antwortet: „Wir sind doch Freunde.“
„Wir sind Freunde? Seit wann das denn?“
„In ein paar Tagen werden wir Freunde sein.“
„Aha. Und wieso weißt du dann jetzt schon meinen Namen?“
„Weil du dich mir gleich vorstellen wirst.“
„Warum sollte ich das tun?“
„Das fragst du mich?“

Es gibt Unterhaltungen, die führen ins Nichts. Und vor allem führen sie dazu, dass man seinen Bus verpasst. Und das wiederum führt dazu, dass man stinksauer zurücklatscht und sich bei dem beschwert, der einen den Bus hat verpassen lassen. Doch bevor ich ihn anpflaumen kann, sagt er: „Du hast den Bus verpasst, ich weiß.“
„Ja, aber das ist nicht der Punkt ...“
„Den 105er, richtig?“
„Ja, aber das ist auch nicht der Punkt ... woher weißt du das?“
Er steht auf und gibt mir die Hand: „Hallo, ich bin Erik, der Zeitreisende.“
„Andreas, hallo.“
Erik nickt grinsend und mir fällt auf, dass ich mich ihm soeben vorgestellt habe. Genau wie er es vorhergesagt hat.

Erik und ich wurden in den nächsten Wochen tatsächlich Freunde. Ich brachte Rotwein mit – und keinen billigen, da Erik schlechten von gutem Rotwein sehr gut unterscheiden konnte, schließlich hatte er viele Jahre die Rotweinherstellung im siebzehnten, achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert begleitet. Was ihn nicht davon abhielt, einen Grand Cru an den Hals zu setzen und ihn wie Sprudel runterzukippen. Er wusste Erstaunliches zu berichten, weniger über das, was jedermann im Geschichtsbuch nachschlagen konnte, sondern über das, was eben nicht im Geschichtsbuch stand und dort auch niemals stehen würde. Wussten Sie, zum Beispiel, dass Napoleon Frauenunterwäsche trug? Also, ich nicht.
„Und das ist wirklich wahr? Das mit Napoleon?“
„Natürlich ist das wahr.“
„Und was ist mit den anderen ... Stalin, zum Beispiel?“
„Der auch.“
„Was denn? Der auch?“
„Wenn ich’s dir sage.“
„Und ... Katharina die Große?“
„Die trug auch Frauenunterwäsche.“
„Nein, das meine ich nicht. Man sagt ihr Dinge nach. Mit Männern. Und einem Pferd ...“
„Nein, kein Pferd. Da war nur mal ein sibirischer Hauptmann dabei, den nannten alle Pferd, wenn du verstehst, was ich meine ...“

Ich verstand. Und war sicher, nie wieder ein Geschichtsbuch in die Hand nehmen zu können, ohne dass sich Bilder in meinem Kopf manifestierten, die jedes historische Ereignis zu einer Ansammlungen von Perverslingen und Travestiten machte. Trotzdem waren seine Geschichten amüsant, und wenn er sich an etwas nicht mehr erinnerte, schloss er kurz die Augen, sackte ein Stück in sich zusammen und tauchte ruckartig wieder auf.
„Also, ich war noch mal da“, sagte er dann, „und ich versichere dir: Michelangelo schielt.“
„Du hast ihn getroffen?“
„Was heißt hier getroffen? Ich hab ihm zwei Jahre lang assistiert.“
Ich rief: „Du warst gerade mal zehn Sekunden weg!“
Er antwortete ruhig: „Hätte ich dich hier jetzt zwei Jahre warten lassen sollen?“

So ging das die ganze Zeit zwischen uns. Ab und zu tauchte er ab, dann war er wieder da und wusste alles über Galeerensklaverei, römischen Handel, griechische Baukunst, mittelhochdeutschen Minnegesang oder neuzeitlichen Kolonialismus. Und weil ich ihm weiterhin feinen Rotwein servierte und ihn dazu überredete, Gläser zu benutzen, gaben wir beide ein seltsames Bild ab: ein Penner und ein Neunmalkluger, die Rotwein aus teuren Gläsern tranken und sich – an einer Häuserwand sitzend – unterhielten.

Das hätte ewig so weitergehen können, denn die Gespräche mit Erik, dem Zeitreisenden, gaben meinem Tag Struktur und ließen mich immer lächelnd nach Hause gehen. Dann, plötzlich, hatte ich eine tolle Idee, die im Nachhinein betrachtet, die dümmste war, auf die ich je gekommen bin.
„Sag mir die doch mal Lottozahlen von nächster Woche“, forderte ich ihn auf.
Er schüttelte den Kopf: „Ich kann nicht in die Zukunft reisen. Nur in die Vergangenheit.“
Ich kratzte mich am Kinn. „Wenn du in der Vergangenheit bist, musst du doch auch in die Zukunft, um zurückzukommen?“
Erik schüttelte den Kopf: „Nein, ich muss in die Gegenwart. Nicht in die Zukunft.“
„Moment!“ rief ich. „Als wir uns kennen lernten, hast du mir gesagt, wir wären schon Freunde ... also: Zukunft!“
Wieder schüttelte er den Kopf: „Nur, weil du das Hier und Jetzt für die Gegenwart hältst.“
„Sind wir nicht in der Gegenwart?“
„Nein. Aber wir sind auch nicht weit davon entfernt.“
Ich dachte nach: Wenn wir nicht in der Gegenwart waren, dann waren wir in der Vergangenheit. Die ich für die Gegenwart hielt. Und der Rest der Menschheit auch. Das war ja mal eine Neuigkeit! Und ein praktische noch dazu. Man könnte gleich einschätzen, ob ein Geschäftsessen zu einem Auftrag oder ein Date zu einer Liaison führte, oder ein Fußballspiel den Eintritt lohnte. Oder ob deine Zahlen auf dem Lottoschein die richtigen waren.
„Kannst du nicht eine Ausnahme machen? Mir zuliebe?“
Erik zögerte: „Weil du mein Freund bist?“
„Ja.“
„Dein Leben wird sich ziemlich verändern ...“
Ich zuckte mit den Schultern: „Darauf lass ich es ankommen.“
Er zögerte einen Moment, dann sagte er: „Ich kann dir die Zahlen von nächster Woche nicht sagen.

Was er damit meinte, ging mir erst eine Woche später auf, als ich die Schlagzeilen in der Zeitung las: keine Lottozahlen. Die Mischmaschine hatte versagt. Zum ersten Mal überhaupt. Ich lief zu seinem Platz, aber er war nicht mehr da. Und auch nicht am nächsten Tag. Oder am übernächsten. Ich fürchte, er wird nicht wieder zurückkommen. Ich vermisse unsere schrägen Gespräche und den Rotwein auf der Straße. Es hat mein Leben so schön bunt gemacht – jetzt ist es wieder grau. Alles hat sich verändert. Genau wie er es vorausgesagt hatte.

Donnerstag, 8. November 2007

Letzte Ausfahrt: Tiefgarage


Letztens war ich mit meinem Freund Salvatore essen, und als es ans Zahlen ging, lud er mich mit lässiger Geste ein und beglich die Rechnung mit einem Hunderter. Den Rest überließ er der hübschen Bedienung als Trinkgeld: 37,30 Euro. Ich war ziemlich fassungslos, denn Salvatore ist zwar ein netter Kerl, aber er ist für gemeinhin derart sparsam, dass ihn ein Witzbold mal bei Wikipedia unter „berühmte Geizkragen” verewigte. Dabei ist der gar nicht berühmt.

Es ging munter weiter: Cocktail, Zigarre, Szenebar. Alles auf seine Kosten. Was er damit bezweckte, wusste ich nicht, aber dass er etwas damit bezweckte, schien mir mehr als offensichtlich. Was gab es zu feiern? Eine neue Liebe? Ein neues Leben? Schalalala? Ich schwieg, wenn ich auch vor Neugier platzte. Denn Salvatore war für gewöhnlich nicht nur ein Geizkragen, sondern auch ein Geheimniskrämer. In seinem Fall bedeutete dies, dass er mit Dingen selbst herausrückte oder gar nicht.

Also wartete ich.

Irgendwann sagte er: „Du fragst dich sicher, was mit mir los ist?“
Ich zuckte scheinheilig mit den Schultern: „Nein. Ist was los?“
„Ich habe einen neuen Job.“
„Was für einen Job?“
Er zögerte: „Das ist kompliziert ...“
„Aha.

Ehrlich gesagt war alles irgendwie kompliziert bei Salvatore. Als Verwaltungsbeamter im Bauamt hatte er eine Menge mächtig komplizierter Vorgänge zu bewältigen. Da war die komplizierte Kaffeemaschine, die komplizierten Ordner, der komplizierte Schreibtisch, und die komplizierte Beziehung zu Fräulein Schmidt, als Schreibtischunterlage, die immer nur Sex, Sex, Sex wollte. Komplizierten Sex natürlich.

„Du arbeitest nicht mehr auf dem Amt?“ fragte ich erstaunt.
Er antwortete: „Doch.“
„Hast du nicht gerade gesagt, du hättest einen neuen Job?“
„Ja.“
„Und noch einen anderen dazu?“
„Wenn man so will: ja.“
„Wenn man so will?“
„Es ist kompliziert.“

Dann zahlte er und schob mich nach draußen. Was er mir zu erklären hatte, konnte er nur im Auto tun.
„Du hast ein Auto?“, fragte ich verwundert. Denn Autos waren für ihn der Inbegriff der Geldverschwendung. Bisher jedenfalls.
Er nickte: „Ja ... da vorne ...“
Ich sah herüber und entdeckte einen Ferrari.
„Du meinst den Roten da?“
„Ja.“

Wir starteten durch und fuhren scheinbar ohne Ziel durch die Stadt. Zögerlich begann er, mir von seiner Verwandtschaft zu erzählen, die da eigentlich eine gute Idee gehabt hätte, wenn moralisch auch etwas zweifelhaft, aber doch eine gute Idee. Wo doch Beerdigungen so verdammt teuer geworden wären. Mittlerweile musste man schon sein ganzes Leben sparen, nur um einmal ordentlich unter die Erde gebracht zu werden. Das war doch nun wirklich ein Skandal. Ich verstand kein Wort. Wir hielten an einem Hochhaus in einem Neubaugebiet.

„Opa Federico!“ sagte Salvatore, als ob das alles erklären würde. „Du weißt doch: mein Lieblingsopa.“
„Der ist doch seit ein paar Jahren tot.“
„Davon red ich doch.“
„Wovon?“
„Vom Sterben. Und den hohen Kosten. Hörst du mir denn nicht zu?“
„Doch ... es ist nur ... kompliziert.“
Er schüttelte den Kopf: „So kompliziert nun auch wieder nicht ... guck mal da!“

Ich sah aus dem Seitenfenster auf die Ausfahrt zur Tiefgarage. Es war eine sehr schöne Ausfahrt zu einer Tiefgarage. Jedenfalls sagte ich das Salvatore.
„Quatsch!“ zischte Salvatore. „Jetzt! Guck mal!“
Jemand verließ gerade die Tiefgarage und hinter ihm ratterte das Tor wieder herunter. Jetzt konnte ich es lesen: Arrivederci Federico. Als Graffiti.
„Sehr hübsch“, nickte ich, „nur ...“
„Opa liegt da.“
Für einen Moment glaubte ich, nicht richtig gehört zu haben. „Wie: da?“
„Im Fundament.“
„Wie bitte?“
Salvatore zuckte mit den Schultern: „Weißt du, was eine deutsche Beerdigung kostet? Wir wären alle Pleite gegangen. Und jetzt sieh dir das an: Ist es nicht schön? Wir haben den besten Graffitikünstler engagiert. Und jetzt grüßt uns Opa jedes Mal, wenn einer zur Arbeit fährt. Jetzt gib zu: das hat doch was?!“

Wir fuhren weiter, während ich fieberhaft überlegte, ob Salvatore mich gerade auf den Arm nahm oder nicht. Er arbeitete auf dem Bauamt, wusste also von allen Baustellen, die es im Stadtgebiet gab. Und er war geizig bis zum geht nicht mehr. Hatte er das wirklich gemacht?
„Die meisten sind von der Sache begeistert“, sagte er.
„Die meisten?“
„So was spricht sich schnell rum, weißt du?“
„Das heißt, du ... ihr habt noch mehr Leute vergraben?“
„Na ja, überall wo gebaut wird. Schau mal!“
Wir fuhren auf eine Brücke zu, an deren Pfeiler stand: Wilhelm Bungert ist der Größte. Eindeutig von gleichen Graffitisprayer.
„Du kannst dir deine Inschrift vorher aussuchen. Kannst alles haben. Vom einfachen Schriftzug bis zum Graffiti Deluxe. Wir bringen jeden für 299 Euro unter die Erde. Mit einem schicken Graffiti für 399 Euro. Da!“
Wir passierten ein Einkaufszentrum. Hier stand: Ich liebe Maria. Ulla und Deniz. Herbert war hier. Nobody is perfect, Ralfi. Es war unfassbar, wie viele Graffitis ich entdeckte. War mir vorher nie aufgefallen.

„Und wenn die einer wegmacht?“ fragte ich.
„Dann machen wir sie wieder dran. Gehört zum Service.“
„Und warum sagst du mir das alles?“
„Du bist doch gerade nach Berlin versetzt worden?“
„Ja, und?“
„In Berlin wird viel gebaut.“
„Ich bin Städteplaner, Salvatore. Nicht Beerdigungsunternehmer.“
Salvatore seufzte: „Überleg’s dir. Ich krieg da gerade eine Busladung Rentner aus dem Sauerland rein. Die waren noch nie in Berlin.“

Ich schwieg einen Moment. Ließ man den pietätlosen Teil des Unternehmens weg, war es eigentlich ziemlich wurscht, wo man lag. Und dass Kirche und Staat ein Monopol auf die letzte aller Reisen hatten, wäre grundsätzlich mal einen Antrag beim Kartellamt wert. Warum durften die Ferrari fahren und ich nicht? Im übertragenen Sinne, meine ich.

„Ich denk drüber nach, okay?“
Salvatore nickte.
Wir passierten das neue Finanzamt. Dort stand: Markus Großmann klaut bei Aldi.
„Und hast du keine Angst, dass dich einer anzeigt?“
Salvatore zuckte mit den Schultern: „Und was passiert dann? Sie reißen das Finanzamt ab, um im Fundament nach Markus Großmann zu suchen?“
„Hat der wirklich bei Aldi geklaut?“
„Keine Ahnung. Seine Alte hat nicht gezahlt.“